Ralf Döringshoff im Interview
„Gymnastizieren statt Dressieren“, dies ist das Motto von Ralf Döringshoff. Der Pferdewirtschaftsmeister, Trainer Leistungssport sowie ausgebildete Pferdeosteopath und -physiotherapeut ist seit über 30 Jahren in der Pferdewelt tätig. Als fachlicher Leiter der Ausbildung Pferde-Osteopathie bei VETogether und EquoVadis besitzt er ein umfangreiches Wissen sowie eine ausgeprägte praktische und fachliche Kompetenz, was die Befundung und Therapie des Bewegungsapparates von Pferden betrifft. Kirsten Fleiser, freie Mitarbeiterin beim Crystal-Verlag, bezeichnet Ralf Döringshoff gar als ein wandelndes Pferdelexikon.
Schon früh zeichnete sich die außergewöhnliche Begabung des Niedersachsen durch herausragende Prüfungsnoten im praktischen Mustern und Beurteilen von Pferden ab. Heute gilt Ralf Döringshoff als angesehener Experte, wenn es um die Biomechanik des Pferdes geht. Durch seine zahlreichen Publikationen und Weiterbildungsangebote gibt er sein Wissen auf vielfältige Weise weiter. Mit seinem Konzept „Gerittene Osteopathie®“ setzt er außerdem die Kernforderungen der klassischen Reitlehre um, die das Wohlbefinden des Pferdes und den Erhalt der natürlichen Grundgangarten in den Vordergrund stellt. Das alles klingt interessant und macht natürlich neugierig – so habe ich Ralf Döringshoff einfach einige Fragen gestellt:
Herr Döringshoff, als angesehener Experte und Ausbilder sind Sie viel beschäftigt, daher erst einmal vielen Dank für ihre wertvolle Zeit. Zunächst würde mich interessieren, wie Sie eigentlich zu den Pferden gekommen sind. Können Sie mir etwas zu Ihrem „pferdischen“ Werdegang sagen?
Zunächst vielen Dank für die anerkennenden Worte, eine tolle Auszeichnung und Anerkennung. Die ersten Fotos, die von mir gemacht wurden, zeigen mich im Kinderwagen abgestellt vor einer Pferdebox im heimatlichen Reitverein, in dem ich dann auch „groß geworden bin“. Neben dieser Reitanlage war der Fußballplatz, wo ich mich auch viel bewegt habe, aber mit Blick auf den Reitplatz als „Nachbarfeld“ immer häufiger dachte: Wieso selber laufen?
Da mein Interesse an den Pferden mit der schulischen Entwicklung kollidierte, habe ich statt dem Weg zum Abitur die Ausbildung zum Pferdewirt gewählt und konnte mich dankenswerterweise durch ein von meinem Vater vermitteltes Praktikum beim Nds. Landgestüt Celle damit zum Ausbildungsvertrag qualifizieren. Nach 10 Jahren verließ ich die Beamtenlaufbahn, um mit meiner damaligen Lebensgefährtin einen Ponyhof für Ferienkinder mit angeschlossenem Ackerbaubetrieb zu übernehmen.
Mit der Trennung brachte sie mich dann auf den Weg meiner reiterlichen Weiterentwicklung, die ich, wohl auch dank der langen Tätigkeit im Landgestüt in renommierten, international agierenden Turnierstellen anstreben durfte. Allerdings hat man dort den Erfolg meiner Intention in Frage gestellt mit der Begründung, dass ich zu lieb reite. Die Enttäuschung hierüber wechselte ich in die Motivation, das therapeutische Handwerk zu erlernen. Die Erfahrungen mit den (Jung)Hengsten im Landgestüt Celle (Hengstprüfungsanstalt), das deutlich unterschiedliche „Reitgefühl“ zu den Turnierpferden „Lektionsmaschinen“, das therapeutische Verständnis für den Pferdekörper prägen mich auch als Mensch.

Von Natur aus sind Pferde eigentlich nicht dazu geschaffen, uns Menschen auf ihrem Rücken zu tragen. Was müssen wir daher beachten, damit dies langfristig ohne gesundheitliche Probleme für das Pferd möglich ist?
Hier geht es ganz viel um die natürliche Bewegung des Pferdes und die Einflüsse des reitenden Menschen darauf. Das Pferd kann den Menschen mit der sogenannten positiven Grundspannung (Spannung im Nacken-Rückenband) mit den natürlichen Bewegungen schadlos tragen. Der Aufbau und Erhalt dieser Spannung erfordert die reiterlichen Hilfen. Wenn diese als wahre Hilfen ein- und umgesetzt werden, dann kann das Pferd den Menschen auch ertragen.
Das Wohl der Pferde sollte für uns alle immer an erster Stelle stehen. Das ist sowohl bei der klassischen Reitlehre als auch bei der manuellen Therapie so. Was sind hier die Gemeinsamkeiten, obwohl es ja unterschiedliche Bereiche sind?
Die Gemeinsamkeiten sind wohl die Wohlfühlparameter, die mit den Anzeichen der Losgelassenheit beschrieben werden: Hohe Eigendynamik (Nickbewegung, schwingender Rücken), harmonisches (Takt) und federnderndes Gangbild, Schweifhaltung, Atmung, Ohrenspiel, Mimik. Die klassische Reitlehre fordert den Erhalt der natürlichen Grundgangarten (Takt) und das über genannte Parameter zu bemessende Vertrauen und Wohlbefinden des Pferdes bei der reiterlichen Arbeit. Die manuelle Therapie ist gefragt, das am stehenden Pferd zu verbessern, wenn es durch reiterliche Ansprüche eingeschränkt wurde. Mehr als Takt und Losgelassenheit kann die manuelle Therapie nicht leisten. Diese können auch durch traumatische Einflüsse (Unfälle) gestört sein, aber diese Ursache macht nur ca. 10% des Handlungsbedarfes aus.

Der Reitsport ist in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten, u.a., weil Pferde nicht immer artgerecht behandelt werden. Was muss sich hier ihrer Meinung nach ändern?
Das angeblich unspektakuläre darf und sollte wieder spektakulär werden. Fachleute können erkennen und anerkennen, wenn ein Fluchttier im Turnierszenario entspannt und sicher Leistung zeigt. Für einen Großteil der „Fachleute“ scheint aber das, was gestern noch ganz toll war, heute schon Standart zu sein. Im Resultat überzogener Forderungen spricht man in Fachkreisen dann von adrenalinsubventionierten Leistungen, wenn es immer mehr sein muss, was das Pferd an „Leistung“ zeigen soll.
Das Wohl des Pferdes als Grundvoraussetzung für gesunde Leistungsentwicklung basiert auf über 2000 Jahren Erfahrung, diesen Erfahrungsschatz nennen wir Klassische Reitlehre – die Richtlinien der Dachorganisationen des Turniersports stützen sich darauf. Im Turniersport werden unter den Augen dieser Institutionen diese Richtlinien aber nicht nur strapaziert, sondern schon parodiert, teilweise pervertiert, das wird vom Richtertisch aus akzeptiert und honoriert, die Pharmaindustrie profitiert.
Immer mehr Menschen erkennen dieses System, in dem die Pferde herumgetrieben werden und leiten daraus zu viel für die ganze Branche ab. Ein bedeutender Politiker hat mal gesagt: Wenn der große Sport seine Vorbildfunktion verliert, dann kriegen wir ein großes gesellschaftliches Problem. Wenn man sich den aktuellen Stand der Dinge anschaut, dann weiß man, warum in dem Wort kriegen das Wort Krieg steckt.
An die Prüfungsplätze gehört den ethischen Grundsätzen folgend verpflichtend eine Kommission von Spezialisten für Bewegungsanalyse und Wohlbefinden des Pferdes (Ethogramm von Sue Dyson). Diese Kommission sollte Schritt und Trab des in Dehnungshaltung gerittenen Pferdes bezüglich Takt und Losgelassenheit bewerten und dann die Freigabe zum Start erteilen oder das Paar disqualifizieren dürfen.
Sie nennen Ihr Konzept „Gerittene Osteopathie®“ und arbeiten nach dem Motto „Gymnastizieren statt Dressieren“. Was genau müssen wir uns darunter vorstellen?
Das Motto basiert auf folgender Idee: Beim Pferdesport / Reitsport ist das Pferd der eigentliche Sportler, in dieser Eigenschaft dann aber das einzige Lebewesen auf diesem Planeten, welches seine Leistungssteigerung lernen soll und dafür ausgebildet wird. Alle anderen Sportler gehen dafür zum Training. Statt nach Lernerfolgen lieber nach Leistungs- und Belastungsgrenzen zu fragen soll mit diesem Motto initiiert werden.
Gerittene Osteopathie® beinhaltet die Tatsache, dass ein Großteil osteopathischer Behandlungstechniken wortwörtlich handgemachte Lektionen der Klassischen Reitlehre sind. Daraus darf man folgern, dass man viele typische Behandlungstechniken der Osteopathie selber reiten kann. Das Konzept beinhaltet darüber hinaus alle Erkenntnisse der Klassischen Reitlehre, da wird schon der Umgang mit dem Pferd zur vorbereitenden Maßnahme für erfolgreiches Training unter Berücksichtigung der Ethik. Wenn man nun noch erkennt, dass in dem Wort vorbereiten das Wort Reiten steckt, dann steht dieses Konzept für die kompromisslose Umsetzung aller Erkenntnisse des bewährten Trainingssystems eines Fluchttieres.

In Ihren Kursen setzen Sie den Reitsimulator Sikorei® ein. Wie kamen Sie auf die Idee, diesen zu entwickeln und was ist der Unterschied zu einem „normalen“ Reitsimulator?
Was zeichnet einen „normalen“ Reitsimulator aus? Mit Sikorei® steht die gewünschte Harmonie mit dem Pferd und die Hilfengebung beim Reiten der Grundgangart Schritt im Fokus. Auf Sikorei® kann man das komplexe Bewegungsprogramm (Nickbewegung zulassen, bauchpendelinitiiierte Bewegung des Brustkorbes fühlen und unterstützen, dabei neutral im Becken bleibend) routinieren und verfeinern, um die Hilfen zu dem werden zu lassen, was sie dem Wort nach sein sollen: Eine Hilfe für das Pferd.
Das Erfühlen der Anlehnung, erste Aspekte der geraderichtenden Arbeit, sitzunabhängige Hilfengebung sind die physischen Aspekte. Psychisch geht es um das Abgeben von Kontrolle, bewegen lassen, auf dem Fluchttier sitzend verständlichen Kontrollzwang regulieren etc. Diese „Dinge“ isoliert üben und verfeinern zu können, ohne dabei noch Hufschlagfiguren oder Ausweichmanöver reiten zu müssen war die Motivation zu der Idee, Sikorei® zu bauen.
Vielleicht ist es etwas provokant, aber wenn man auf „normalen“ Reitsimulatoren vielleicht ein Gefühl davon bekommt, wie sich schöne Grundgangarten anfühlen, bekommt man auf Sikorei® ein Gefühl dafür, das eigene Pferd zu diesen schönen Grundgangarten zu entwickeln.

Bei Ihrer jahrelangen Arbeit mit Pferden haben Sie sicher schon so einiges erlebt. Was war Ihre bisher bewegenste oder spannenste Erfahrung?
Mich bewegen und berühren immer wieder die „Aha“- Erlebnisse der Teilnehmerschaft an den Osteopathiekursen, die sich selbst beeindrucken, wenn sie große Veränderungen durch sanfte „Kleinigkeiten“ auf physischer und psychischer Ebene der Pferde erreichen und wahrnehmen.
Immer wieder beeindruckt und auch sehr ehrfurchtsvoll dankbar bin ich von der täglichen sanften Gutmütigkeit der Pferde, die uns täglich neu die Chance geben, heute mal etwas richtig oder wenigstens besser zu machen.
Ganz spannend war für mich eine Erfahrung auf dem erwähnten Ponyhof. In der großen Herde waren schon einige Fohlen geboren, die Weide beinhaltete am Rand auch einen Wassergraben, ca. 3m breit, 2m tief, der führte aber zu der Jahreszeit kaum Wasser. Die Herde stand auf der ca. 3h großen Weide weit weg von diesem Graben, als ich das Areal betrat. Als die Herde mich zur Kenntnis nahm, galoppierte eine Stute wiehernd auf mich zu und an mir vorbei zu diesem Graben. Ich folgte ihr dorthin und sah ihr max. 5h altes Fohlen, das ein Fußbad nahm beim Blick gegen die Steilwand. So durfte ich dann das Fohlen aus dem Graben tragen und bin dankbar, dass die Mutterstute mir das zu- und anvertraut hat.

In Kürze bringen Sie ein neues Buch heraus. Auf was dürfen wir uns hier freuen?
Darauf freue ich mich auch schon, das Buch wird die Idee und Strategie von Gerittene Osteopathie® abbilden und erläutern, flankiert von kurzen Videos, die Funktionelle Anatomie und Biomechanik des Pferdes veranschaulichen. Basierend auf dem Verständnis dafür wird ein Trainingskonzept erläutert, wie man die „Empfehlungen“ der Klassischen Reitlehre umsetzt und worauf dabei zu achten ist. Vielleicht wird es als „Gebrauchsanweisung“ für alle Inhalte der Klassischen Reitlehre erkannt.
Welchen persönlichen Rat möchten Sie zum Schluss anderen Pferdefreunden noch mit auf den Weg geben, damit unsere Pferde möglichst lange gesund und fit bleiben?
Wir dürfen uns eine scharf selektierende Pferdezucht leisten, daraus gehen sehr talentierte Sportpferde hervor. Aber Talent ersetzt nicht die Tatsache, dass der Körper den Anforderungen wortwörtlich gewachsen sein muss. Schnelle Leistungsentwicklung kann auch ein talentierter Körper nicht leisten. Und bei allem sportlichen Ehrgeiz für die eigenen reiterlichen Fortschritte dürfen wir uns immer wieder klar machen, wer sich den Sport ausgesucht hat.