Knut Krüger im Interview
„Die Grundausbildung des Pferdes ist nicht nur der Anfang, sondern ein lebenslanger Weg – für Pferd und Reiter. Sie ist gleichzeitig der Schlüssel, um hohe Lektionen mit Freude richtig zu reiten.“ Dieser Satz von Knut Krüger auf seiner Homepage lässt schon seine große Leidenschaft für die klassische Reitlehre erkennen. Nicht der schnelle Erfolg steht für ihn im Vordergrund, sondern die nachhaltige Entwicklung von Pferd und Mensch.
Die Grundlagen dafür lernte er bei der Ausbilderlegende Paul Stecken, für den das Wohlbefinden und die Gesundheit des Pferdes immer an oberster Stelle stand. Auch bei Knut Krüger ist das dies der Fall und so verbindet er seine jahrzehntelange Berufserfahrung mit seiner tiefen Leidenschaft für die klassische Reitlehre. Seine Arbeit basiert auf der Heeres-Dienstvorschrift der deutschen Kavallerie, besser bekannt als H. Dv.12 (1926). In ihr wird sehr genau beschrieben, wie junge Pferde und Reiter ausgebildet werden sollten.

Knut Krüger glaubt fest daran, dass echte Harmonie zwischen Pferd und Reiter nur über eine fundierte Grundausbildung entstehen kann. Eine reelle Grundausbildung nach klassischen Prinzipien bringt seiner Meinung nach Klarheit, Verbindung und Leichtigkeit in jede Reitweise. Wenn man sich im Netz informiert, schätzen seine Schüler besonders seine ruhige Art, sein Auge für Details und die Fähigkeit, auch komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen. Davon wollten auch wir uns überzeugen und haben Knut Krüger einige Fragen gestellt:
Vorab vielen Dank Herr Krüger, dass Sie sich die Zeit für unsere Fragen nehmen. Paul Stecken ist der Ausbilder der klassischen Reitlehre schlechthin. Warum haben Sie sich gerade für ihn als Ausbilder entschieden, was haben Sie aus dieser Zeit für sich mitgenommen und wie hat sich das auf Ihre reiterliche Laufbahn ausgewirkt?
Die Wahl für Paul Stecken war eher Zufall als eine bewusste Entscheidung. Ich lernte Frau Schmieder-Tresper im Tattesall Nürnberg beim Voltigieren kennen. Im Alter von zehn Jahren besuchte ich dort einen Ferienlehrgang der Stadt Nürnberg. Schon bald konnte ich alle Grundübungen im Galopp zeigen. Daraufhin erlaubte mir Frau Schmieder-Tresper, vier Jahre lang kostenlos weiter zu voltigieren, damit ich diesen Sport weiterhin ausüben konnte.
Anschließend begann ich im Schulbetrieb zu reiten. Mein damaliger Reitlehrer in Nürnberg, Jacques Annyas (später Turnierrichter bis S), empfahl mich im Alter von 15 Jahren bei Paul Stecken für eine Bereiterlehre. Nach einem Ferienlehrgang 1976 und einem Probearbeiten 1977 bot mir Paul Stecken tatsächlich eine Lehrstelle an. Die älteren Lehrlinge führten jedoch ein strenges Regiment, weshalb ich damals ablehnte.
1983, im Alter von 24 Jahren, überlegte ich mir, dass es doch besser gewesen wäre, in Münster anzufangen. Nach mehrfachem hartnäckigem Nachfragen – ich wollte eigentlich nur wissen, ob ich inzwischen zu alt sei, bekam jedoch stets die Antwort, es seien keine Lehrstellen frei – durfte ich 1984 an einem Reitwartlehrgang teilnehmen. Im Anschluss bot mir Paul Stecken zum zweiten Mal eine Lehrstelle an. Vermutlich bin ich der einzige unter den 106 Lehrlingen, dem das gleich zweimal gelungen ist; Stecken konnte sich jedenfalls an keinen anderen erinnern.

Mein Vorteil war nun, dass ich aufgrund meines Alters und der bestandenen Reitwartprüfung nach kurzer Einarbeitungszeit gleichzeitig als Stallmeister und als jüngster Ausbilder eingestellt wurde. Die Rangordnung war: Paul Stecken, Michael Lämmle (erster Reitlehrer), Robert Frank (zweiter Reitlehrer), ich (dritter Reitlehrer) und danach die übrigen Lehrlinge.
Damit war ich sowohl für die Ausbildung der Lehrlinge und die Stallorganisation zuständig und wurde auch als Reitlehrer für den Unterricht in den Schulstunden der Erwachsenen. Täglich nahmen Herr Lämmle, Herr Frank und ich bis zu einer Stunde an einer Mittagsbesprechung mit Herrn Stecken teil. Diese Gespräche waren für mich von großem Wert, da ich dadurch seine Einstellung zu Pferden viel intensiver aufnehmen konnte. Als Stallmeister konnte ich mir die Zeit frei einteilen und durfte jederzeit bei seinem Unterricht zusehen. Auf diese Weise schulte Paul Stecken bei mir den Blick für das korrekt gehende Pferd.
Warum, erfuhr ich in meinem Abschlusszeugnis: „In der Unterrichtserteilung überdurchschnittlich“, schrieb er. Schon während meiner Lehrzeit hatte er mich also als Ausbilder aufgebaut. Erkannt hatte er das bereits im Reitwartlehrgang. Dass dies tatsächlich meine Berufung ist, habe ich allerdings erst Jahre später akzeptiert.
Große Reitsport-Events sind zwar nach wie vor gut besucht, aber die Kritik am heutigen Pferdesport wird zunehmend lauter. Was läuft hier Ihrer Meinung nach verkehrt?
Auch die Reitschule in Münster ist hier von Bedeutung. Robert Frank, der zweite Reitlehrer, strebte eine Laufbahn als Richter im Turniersport an. Das Richten selbst hat er bei Paul Stecken gelernt. Stecken kam oft von großen Turnieren zurück, bei denen er teilweise ein Drittel niedrigere Wertnoten vergab als seine Richterkollegen. Auf die Frage nach dem Grund antwortete er stets diplomatisch: „Ich saß bei B – aus meiner Sicht sah das eben so aus. Meine Kollegen auf den anderen Bahnpunkten hatten einen anderen Blickwinkel.“
Robert Frank wurde nach seiner Richterprüfung zunächst regelmäßig eingeladen. Bald nahm dies jedoch deutlich ab. Er wollte korrekt richten – doch das entsprach nicht immer den Erwartungen mancher Veranstalter. So wurde er schließlich so selten eingesetzt, dass er die erforderlichen Testate nicht mehr erfüllen konnte.
Der Reitsport ist meines Wissens die einzige Sportart, in der die Unparteiischen von den Veranstaltern eingeladen werden. Wie sollen sie da wirklich unparteiisch bleiben? Dieser Missstand wird seit Jahrzehnten, auch von namhaften Ausbildern innerhalb der FN und der Richtervereinigung, immer wieder kritisiert. Dennoch werden stets Gründe angeführt, warum es im Reitsport angeblich nicht anders möglich sei.
Die Folge ist, dass der Blick der Reiter für den korrekten und gesunden Bewegungsablauf der Pferde immer mehr verloren geht. In der Wissenschaft spricht man in solchen Fällen von einem Bias. Gerade dieser klare Blick für das korrekt gehende Pferd wurde mir von Paul Stecken jedoch immer wieder als das wichtigste Fundament für jeden Ausbilder vermittelt.

Sie haben nicht nur das Buch Trainingslehre für Dressurpferde geschrieben, sondern geben ihr Wissen auch in zahlreichen anderen Publikationen weiter. Seit 2024 sind Sie sogar verantwortlich für das Magazin Feine HILFEN, das ein Teil von Natural Horse ist. Wie kam es dazu und was möchten Sie hier bewirken?
Die meisten meiner Publikationen entstanden auf Anfrage der Verlage. So war es auch, als ich die Redaktion für den Bereich Feine Hilfen in der Zeitschrift Natural Horse übernehmen sollte, nachdem das Magazin zuvor von einem anderen Verlag eingestellt worden war. Schon bald zeigte sich jedoch, dass die Verbindung zwischen Natural Horse und Feine Hilfen nur schwer umzusetzen war.
Es erwies sich als äußerst schwierig, beiden Lesergruppen einerseits genügend lesenswerte Artikel zu bieten und andererseits die unterschiedlichen Ansichten so zu vermitteln, dass sie gegenseitig akzeptiert werden konnten. Aus diesem Grund habe ich diese Aufgabe zum Jahresende beendet.
Damit wir unseren Pferden gerecht werden, sollten wir den Umgang mit ihnen immer ganzheitlich betrachten. Dazu gehören nicht nur die Ausbildung, sondern vor allem auch der Umgang und die Haltung. Wie sehen für Sie als Verfechter der klassischen Reitlehre artgerechter Umgang und eine artgerechte Pferdehaltung aus?
Als ich reiten lernte, gab es ausschließlich Boxen- und Ständerhaltung. Selbst Mitte der 1970er-Jahre wurden in der Westfälischen Reit- und Fahrschule noch Pferde in Ständern gehalten. Erst als ich Mitte der 1980er Jahre eigene Pferde hatte und 1999 zusammen mit meiner damaligen Ehefrau einen Reitstall betrieb, konnte ich aus eigener Erfahrung sehen, wie positiv sich Offenstallhaltung und ganzjährige Weidehaltung auswirkten. Meine Pferde waren ausgeglichen, leistungsbereit und zuverlässig in der Arbeit. Nie wieder würde ich ein Pferd in eine Box stellen – auch nicht für wenige Monate im Winter.
Artgerechte Haltung bedeutet jedoch mehr Arbeitsaufwand und sollte entsprechend vergütet werden. Unsere Kalkulation Anfang der 2000er-Jahre ergab, dass uns die reine Boxenhaltung im Vergleich zu Offenstallhaltung oder mindestens zehn Stunden täglichem Weidegang etwa 60 € Mehrkosten pro Pferd und Monat verursachte. Diese Kosten konnten wir nur teilweise über den Pensionspreis auffangen. Für die Pferdebesitzer ergaben sich jedoch Einsparungen bei den Tierarztkosten: keine Koliken, kaum oder deutlich verbesserter Husten und insgesamt ausgeglichenere Pferde.
Ein Beispiel: Meine letzten Pferde zeigten selbst im Alter von über 30 Jahren noch genauso raumgreifende Gangarten wie als Dreijährige. Ein solches Ergebnis erhält man nur durch die Kombination aus guter Ausbildung und konsequent artgerechter Haltung.

Um auf die Pferdeausbildung zurückzukommen – im Jahr 2023 haben Sie das „Netzwerk Reitlehre“ ins Leben gerufen, bei dem Christoph Ackermann und weitere bekannte Trainer mitmachen. Was war der Grund und was steckt dahinter?
Der Grund liegt darin, dass die Lobby der Turnierszene sehr viel geschlossener auftritt als jene von uns, denen das Wohl der Pferde und eine wirklich pferdegerechte Ausbildung am Herzen liegen. Diese Dominanz wirkt sich negativ bis in die breite Masse aus – also auf die rund 95 % der Pferdebesitzer, die keine Ambitionen haben, je auf einem Turnier zu starten.
Was fehlt, ist eine starke Lobby, ein professionelles Marketing und ausreichende finanzielle Mittel. Die Pferde brauchen endlich eine Stimme, die sichtbar für sie spricht – für Pferde, die geritten und genutzt werden, aber dennoch in Vertrauen und Harmonie mit dem Menschen arbeiten sollen.
Vor wenigen Wochen erzählte mir jemand, wie er meine Pferde erlebt hat: Man saß auf ihnen, und sie zeigten in völliger Ruhe und vollem Vertrauen, was sie alles konnten. Starker Sporeneinsatz oder eine harte Hand waren überflüssig. Warum auch? Sie verfügten über Kraft, Beweglichkeit und – vor allem – Losgelassenheit, um selbst schwierige Anforderungen mit Leichtigkeit zu erfüllen.
Sie geben Ihr umfangreiches Wissen nicht nur in den Medien weiter, sondern erteilen auch Unterricht vor Ort. Aktuell überarbeiten Sie Ihre Website und Unterrichtsangebote. Was ist hier geplant?
Marketingexperten haben mir deutlich gemacht, dass uns die junge Generation der Ausbilder in Sachen Marketing und Internetpräsenz weit voraus ist. Wenn ich mir überlege, was ich in ihrem Alter noch nicht wusste – und deshalb auch teilweise falsch weitergegeben habe – wird klar: Wir müssen unbedingt im Bereich Marketing investieren und aufholen.
Nur so können wir sicherstellen, dass unser Wissen erhalten bleibt und, wenn möglich, wieder breiter verbreitet wird.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Reitsports?
Ich wünsche mir mehr Pferde, die mit feinen, beinahe unsichtbaren Hilfen vorgestellt werden. In den 1980er Jahren bezeichneten selbst Laien auf Turnieren solche Pferde spontan als „schön“ – und meistens waren genau diese Pferde auch ganz vorne platziert. Heute findet man solche Eindrücke kaum noch, und auch das Publikum der interessierten Laien ist weitgehend verschwunden. Natürlich war früher nicht alles besser – aber vieles war deutlich besser als heute.

Mein Rat an alle Pferdefreunde:
Schaut genau hin und vergleicht die Gangarten eurer Pferde mit Aufnahmen von vor dem Anreiten. Haben die Pferde eine solide Grundausbildung, bewegen sie sich genauso korrekt und raumgreifend wie damals – oder sogar besser. Dann seid ihr auf einem guten Weg.
Doch das ist nur ein Aspekt. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Taktreinheit, die heute vielfach verloren gegangen ist. Sie beginnt bereits im Schritt: Das charakteristische „V“ in der lateralen Zweibeinstütze ist kaum noch zu sehen.
Prüft eure Pferde regelmäßig: reitet einhändig, streift über, lasst die Zügel tief aus der Hand kauen. Diese einfachen Überprüfungen schaden keinem Pferd – sie zeigen euch jedoch klar, ob die Ausbildung korrekt ist. Leider können nur noch sehr wenige Pferde diese Dinge überzeugend zeigen. Holt dann die Ausbildung nach – das seid ihr euren Pferden schuldig.
PS: In den Jahren 2005 bis 2019 war ich maßgeblich an den Forschungsarbeiten meiner ehemaligen Ehefrau beteiligt. Meine Aufgabe waren unter anderem Versuchsplanung, Statistikauswertung, Grafiken und die Planung der Forschungscamps. Das trifft für fast alle bis 2022 veröffentlichten Forschungsarbeiten zu:
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