Marie Massmann im Interview
Das Reitzentrum Reken ist ein ganz besonderer Ort, um Reiten oder den Umgang mit Pferden zu lernen – das habe ich selbst schon bei meinem 11-tägigen Grundkurs vor fast 30 Jahren erfahren dürfen. Auch Marie Massmann, auf die ich von Kirsten Fleiser von Natural Horse aufmerksam gemacht wurde, verbindet besondere Erinnerungen mit diesem Reitzentrum, denn hier hat sie Richard Hinrichs kennengelernt, der neben weiteren international bekannten Größen einer ihrer wichtigsten Lehrer werden sollte.
Heute führt Marie Massmann, Gründerin der Marke NaturalClassic®, selbst ein Coachingzentrum für Menschen und Pferde in Jülich. Mit ihrer Horse-Focus-Trainingsmethode hat sie es sich zum Ziel gesetzt, ihr umfangreiches Wissen zur Weiterentwicklung einer humanen, pferdegerechten Reiterei zu nutzen. Sogar an der aSSIST Universität in Seoul ist diese Trainingsmethode als Basisstudium für den Studiengang „Bachelor of Horse Science“ Bestandteil des Curriculums.
Mit ihrer Basisarbeit bereitet die Methode Pferd und Mensch auf eine feine Reiterei vor. Das Horse Focus Training beginnt mit der neuen Basis vor der allgemein bekannten Basis, ist unabhängig von Stilrichtung und Disziplin und zieht sich als roter Faden durch alle Ausbildungsstufen des Pferdes. Was aber unterscheidet diese Methode von anderen Ausbildungsmethoden? Dies und noch einiges mehr wollte ich von Marie Massmann wissen und habe ihr daher einige Fragen gestellt:

Vorab vielen Dank Frau Massmann für Ihre wertvolle Zeit, die Sie sich für die Beantwortung meiner Fragen nehmen. Zunächst würde mich interessieren, wie Sie selbst zu den Pferden gekommen sind. Können Sie mir hier ein wenig über Ihren Werdegang erzählen?
Im Alter von zwei Jahren wurde ich vom Pferdevirus infiziert. Damals setzte mich meine Mutter auf ein Pony namens „Pascha“. Von da an führte mich mein Weg vom Ponyreiten hin zu meinem ersten Mentor Harald Ohliger. Harald war Träger des Goldenen Reitabzeichens und Kavallerist im Zweiten Weltkrieg. Von ihm durfte ich unsagbar viel lernen. Im Alter von 13 Jahren saß ich in seinem Wohnzimmer und bei Kakao und Keksen schenkte er mir all sein hippologisches Wissen. Von Piephacke bis Stollbeule und alle anderen möglichen Pferdekrankheiten waren – natürlich zusammen mit klassischer, dressurmäßiger Reitausbildung – alles, was das Herz eines engagierten Pferdemädchens höher schlagen lässt, dabei.
Nach meinem Abitur konnte ich bereits das Gelände, auf welchem heute unser Coachingzentrum für Menschen und Pferde steht, pachten. Nach dem Abitur habe ich mich als „ordentlichen Beruf“ der Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Arbeit mit Menschen mit Handicap gewidmet. Doch parallel zu meiner „offiziellen“ beruflichen Weiterentwicklung habe ich die Qualifikation zur Trainerin A FN und beim Kuratorium für Therapeutisches Reiten in Köln die Qualifikation zur Reittherapeutin erworben. So habe ich im Jahr 1991 mein erstes Einzelunternehmen „Ausbildung von Reiter und Pferd“ hier in Jülich gegründet.
Wissbegierig suchte ich ganz unterschiedliche Reitmeister und Reitmeisterinnen auf. So zum Beispiel Linda Tellington-Jones, Jean-Claude Dysli, Andreas Hausberger, Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule zu Wien, und einige mehr. Am meisten geprägt hat mich Richard Hinrichs. Mit ihm verbindet mich eine ganz besondere Freundschaft – ich glaube, das darf ich so sagen. Über 20 Jahre lang bin ich regelmäßig mit meiner ganzen Familie im Schlepptau und mit eigenen Pferden zur privaten Schulung zu ihm nach Hannover gefahren.
Neben den zahlreichen, international bekannten Trainern war Richard Hinrichs einer ihrer wichtigsten Lehrer. Was fasziniert Sie an ihm und was haben Sie aus der Zeit dort für sich mitgenommen?
Seine Fairness zum Pferd und gleichzeitig seine Präzision und Feinheit in der Arbeit mit den Pferden fasziniert mich am meisten. Für mich persönlich ist es vor allem die Präzision und Klarheit, von der ich profitiere. Als „rheinische, kölsche Frohnatur“ tendierte ich vor meinem Training mit Richard eher zu Kompromissen. Richard hat das treffend so formuliert: „Wenn ein Kölscher sieht, dass ein Kind auf dem Tisch droht herunterzufallen, dann sagt der Kölsche: ‚Kind, du fällst gleich.‘ Der Hannoveraner sagt hingegen: ‚Runter da!'“

Pferde sind stark von der Natur und den eigenen Instinkten geprägt. Obwohl wir das wissen, wird ihr Verhalten leider noch zu oft fehlinterpretiert. Worauf kommt es daher Ihrer Meinung nach bei einer fundierten Pferdeausbildung an?
In meinem Rundumcoaching für Pferdebesitzer und auch für Pferdetrainer erhalten die Schüler übergeordnetes Wissen, woraus sich dann nachhaltig auch echtes Können entwickelt. Was ich mit übergeordnetem Wissen meine, wird sich der Leser jetzt berechtigterweise fragen.
Es reicht nicht aus, das entsprechende Wissen zu kennen – wir müssen es auch können. Das bedeutet, das Wissen sollte „embodied“ werden, also in die Handlungen implementiert werden. Es geht um Verkörperung. Was ist meinem Pferd und jedem Pferd wichtig? Es möchte folgende Fragen klar beantwortet haben: „Wer steht hier neben mir?“ „Wie atmet er, wie steht er, wie ist der Herzschlag?“ „Ist er überhaupt ganz hier? Jetzt?“
„Ich bin Mia, Mutter von zwei Kindern und Frau von Dr. Müller!“ – Das interessiert kein Pferd! Nur dann, wenn wir ganzheitlich agieren, sind wir aus Pferdesicht autonom.
Übergeordnetes Wissen bezieht sich zudem auf Gesetzmäßigkeiten, über die nicht diskutiert werden kann. So zum Beispiel das Naturgesetz „Druck erzeugt Gegendruck“. Studieren wir diese Naturgesetze, kombinieren sie mit den Bedürfnissen des Pferdes und natürlich auch mit unseren eigenen Bedürfnissen, so sind wir schon einen wesentlichen Schritt weiter.
Zudem benötigen wir einen klaren roten Faden. Haben wir den nicht, so läuft alles Wissen ins Leere. Wie gesagt, es geht um jede einzelne Handlung am Pferd. So können wir Fehlinterpretationen und Missverständnisse vermeiden.
Ein weiterer übergeordneter Faktor ist die Fähigkeit der Selbstverbindung. Nur dann, wenn ich mit mir selbst verbunden bin, kann ich eine reelle Verbindung zu meinem Pferd herstellen. In der Verbindung mit mir selbst bin ich auch dann noch sichtbar für mein Pferd, wenn ich etwas tue. Oft verlieren wir uns im Tun und vergessen zu „sein“. Für unser Pferd sind wir dann unsichtbar.
Oft suchen wir die Lösung von Problemen mit unserem geliebten Pferd in der Ferne und im Komplizierten. Jedoch vergessen wir, dass das Charakteristische einer Lösung die Einfachheit ist. Die Lösung liegt in mir. So werden Pferdemenschen selbst zur Lösung des Pferdeproblems.

In Ihrem Buch „Pferde selbst ausbilden*“ stellen Sie das von Ihnen entwickelte NaturalClassic® Horse Focus Training ausführlich vor. Was ist das Besondere daran im Vergleich zu anderen Ausbildungsmethoden und wie funktioniert es genau?
Das Horse Focus Training bezeichne ich als die Basis vor der allgemein bekannten Basis. Das bedeutet, das HFT beginnt nicht mit einem Schrecktraining oder der Gewöhnung an Sattel und Trense. Wir bei NaturalClassic sagen: „Relationship first“ – Beziehung zuerst.
Wir treten am Anfang einmal bewusst aus dem Raum von Gut und Schlecht sowie Richtig und Falsch heraus. Wir erteilen uns die Selbsterlaubnis, unser Pferd erst einmal kennenzulernen. Daraus entsteht ein klar geführter, echter Dialog. Wir stellen Fragen. Und dann wirkt ein weiteres Naturgesetz: Wer fragt, der führt. So wird der Mensch in seine natürliche Führungskompetenz gebracht. Diese natürliche Kompetenz erlaubt ein Führen ohne Druck und Zug.
Daher kommt der Name NaturalClassic. Er bezieht sich auf die Berücksichtigung der Naturgesetze, unserer eigenen Natur und auf die Natur der Pferde. Damit wird die klassische Reitlehre durch das HFT weiterentwickelt. Ich weiß, das klingt arrogant – ich hoffe, der Leser verzeiht es mir. Die klassische Reitlehre wünscht sich ein freiwillig mitarbeitendes Pferd, das auf feine Hilfen reagiert. Der moderne Ausdruck hierfür ist intrinsisches Training. Das HFT ist ein intrinsisches Training, das auf eine Verbindung des Pferdes von innen heraus abzielt.
Ein intrinsisches Handeln erzielen wir auch durch die Umsetzung der Pferdebedürfnisse in unser Handeln, wie oben beschrieben. Hierzu ein Beispiel: Pferde haben das Bedürfnis nach ständiger freier 360-Grad-Rundumsicht. Wenn wir uns dicht neben ein Auge des Pferdes positionieren, so untergraben wir mit unserem Handeln dieses Bedürfnis. Unser Wissen nützt uns in diesem Moment nichts. Es geht also um die Umsetzung des allgemein bekannten Wissens. Das führt zu intrinsischer Verbindung.
So lernen Menschen von Anfang an, worauf es bei einer wirklich klassischen Pferdeausbildung tatsächlich ankommt – sozusagen vom Paddock zur Piaffe. Übergeordnetes Wissen bedeutet zudem, dass die Schüler Funktionszusammenhänge erkennen. So zum Beispiel, dass die Qualität der Piaffe unmittelbar mit der Art und Weise, wie ich einfache Alltagshandlungen gestalte, in Verbindung steht. Anstelle der Piaffe kann jedes andere reiterliche Ziel gesetzt werden.
Das Besondere an dem HFT ist, dass es oft kompliziert dargestellte Inhalte einfach umsetzbar aufbereitet. Es beinhaltet einen roten Faden von der ersten Begegnung bis hin zu – wenn gewünscht – hoher Leistung. Es entwickelt die klassischen Grundsätze, Pferde auszubilden, weiter und lässt modernste Erkenntnisse mit einfließen. Das Training ist intrinsisch konzipiert und lässt auch die Individualität von Mensch und Pferd einfließen.

Für wen ist Ihr Horse Focus Training besonders geeignet?
Das HFT ist für alle Menschen geeignet, die Abkürzungen lieben und noch in diesem Leben ihren Pferdetraum erfüllen möchten. Es ist für Menschen konzipiert, die gerne kleinschrittig arbeiten und prozessorientiert denken. NaturalClassic-Schüler lieben nachhaltige Erfolge und erkennen den Haken an kurzfristigen, oberflächlichen Effekten.
„Gehe langsam, wenn Du es eilig hast“ – dieser Satz passt hervorragend zu einer professionellen Schulung von Mensch und Pferd. Er hört sich im ersten Moment paradox an und doch ist der kleinschrittige Weg der Kürzeste.
Als Trainerin haben Sie in all den Jahren bestimmt schon so einiges erlebt. Welches war Ihr bisher außergewöhnlichstes Erlebnis?
Es waren viele außergewöhnliche Erlebnisse, die ich bisher erleben durfte. Einmal lud mein Mann einen Fahrschüler ein, uns auf einer Ausfahrt mit unserem damaligen Kladruberhengst „Sacramoso Morena“ zu begleiten. Fröhlich nahm dieser die Einladung an und nahm neben meinem Mann auf dem Kutschbock Platz. Da der Schüler schon weit fortgeschritten war, übergab mein Mann ihm die Leinen und leitete ihn wie in einem Unterricht an, wo es nötig erschien.
An einem Spielplatz hielten wir an und die Kinder stiegen mit mir gemeinsam aus. Als wir uns gerade umgedreht hatten, hörten wir einen lauten Knall. Da war die Kutsche bei der Wendung umgekippt. In Panik ließ der Schüler meines Mannes die Leinen los und sprang kopflos nach vorne zwischen Pferd und Deichsel.
Unser Hengst blieb wie angewurzelt stehen. Er war durch das intrinsische Training befähigt worden, die Situation einzuschätzen. Flucht war für ihn in der Menschenwelt keine Option mehr. Der Schüler kletterte aus seiner misslichen Lage hervor, mein Mann übernahm die Leinen und sprach Morena gut zu. Wir richteten mit gemeinsamer Kraft die Kutsche wieder auf und die Fahrt ging weiter nach Hause.
Die meiste Zeit haben wir nun über Ausbildungsmethoden gesprochen. Um unseren Pferden aber gerecht zu werden, sollten wir den Umgang mit ihnen immer ganzheitlich betrachten. Dazu gehören neben der Ausbildung auch der Umgang und die Haltung. Wie leben Ihre Pferde?
Unsere Pferde leben in Kleingruppen in großzügigen Offenställen mit zusätzlicher Weidehaltung. Wir arbeiten gerade an einem Paddock Trail.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Gemeinsam mit meiner Familie und meinem Team arbeiten wir weiter an der weltweiten Verbreitung der HFT-Methode. Einige Trainer aus unterschiedlichen Ländern sind bereits in der Online-Schulung zum HFT-Trainer. Auch die Nationale Schulung von Trainern wird in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden und es werden weitere NC – Schulungszentren entstehen.
Welchen Rat möchten Sie zum Schluss anderen Pferdefreunden noch mit auf den Weg geben?
Die meisten gesundheitlichen Probleme der Pferde lassen sich durch eine solide Ausbildung von Mensch und Pferd vermeiden. Prävention ist die beste Medizin. Oft wird bei einem Pferdekauf das Budget für den Tierarzt mit eingeplant. Das ist für einen Ernstfall wichtig. Jedoch wird das Budget für eine solide Ausbildung oft zu knapp bemessen und die Pferdebesitzer kommen in eine enorme Kostenspirale für zahllose Behandlungsmaßnahmen hinein.
Eine gute Ausbildung ist vorbeugend, arbeitet Ursachenorientiert und spart Geld und Zeit. Auch dann, wenn man bereits in einer solchen Spirale gelandet ist, darf man jederzeit den Mut haben, auszusteigen und sich den Ursachen widmen. Hierzu ist es nie zu spät! Ich biete zu diesem Zweck kostenlose Beratungsgespräche an, die auf unserer Homepage gebucht werden können.