Timo Ameruoso im Interview

Wie man mit schwierigen und außergewöhnlichen Lebenssituationen umgeht, das hat Timo Ameruoso zur Genüge lernen dürfen. Dabei war sein Start in die Welt der Pferde eigentlich recht vielversprechend. Schon früh nahm ihn sein Großvater, von dem er auch seine Liebe zu den Pferden geerbt hat, mit zum alljährlichen Reitturnier des ortsansässigen Reitvereins. Daher stand für Timo Ameruoso auch schon von klein an fest, was er unbedingt wollte: Reiten lernen.

Mit zehn Jahren startete er das erste Mal bei einem Turnier und mit 12 kauften seine Eltern ihm ein eigenes Pferd. So begann Timo Ameruosos Springreiterkarriere und kurze Zeit später trainierte er bereits bei Willi Schaffner zusammen mit dem heutigen Vize-Europameister und Bronzemedaillengewinner der Olympischen Spiele 2016, Daniel Deusser. Eine Karriere als Springreiter schien quasi vorprogrammiert, doch dann kam alles ganz anders.

Ein schwerer Motorradunfall im Mai 1995 beendete abrupt Timo Ameruosos große Pläne. Von heute auf morgen saß er im Rollstuhl und an Laufen war nicht mehr zu denken. Dennoch wollte sich Timo Ameruoso eines nicht nehmen lassen: das Reiten. So kämpfte er sich gegen den Rat seiner Ärzte bereits nach 18 Monaten zurück auf sein Springpferd mit dem Ziel, an den Paralympics 2000 in Sydney teilzunehmen. Vier Jahre lang trainierte er hart für seinen olympischen Traum, doch im Juli 1999 zerstörte ein Reitunfall, den er nur knapp überlebte, auch diese Pläne.

Obwohl es über ein Jahrzehnt dauerte, bis er diesen schweren Schicksalsschlag überwinden konnte, gab Timo Ameruoso nie auf. Nachdem er nämlich ganz unten angekommen war, beschloss er, nicht mehr seine Schwächen als Ausrede für sein Scheitern, sondern seine Stärken als Chance zum Aufbruch zu begreifen. Heute ist er einer der erfolgreichsten Pferdemediatoren und als Gastredner und Coach weltweit gefragt.

Timo Ameruoso
Gefragter Pferdemediator (Foto: Rowohlt Verlag)

Diese Geschichte beeindruckte uns sehr, daher wollten wir mehr über Timo Ameruoso, seinen Weg und sein Verhältnis zu den Pferden erfahren. Hier findest du nun seine Antworten auf unsere Fragen:

Herr Ameruoso, Pferde sind wunderbare Geschöpfe, die uns auf unterschiedlichste Weise faszinieren und auch inspirieren. Wie sind Sie zu den Pferden gekommen und was fasziniert Sie an ihnen?

Meine Nachbarin Steffi bekam auf ihrem Geburtstag Reitkarten geschenkt. Ich wusste damals zwar nicht was das ist, aber da alle ausgeflippt sind, wollte ich das auch. Meine Cousine, die ein Pferd hatte, machte mit mir jeden Montag auf einem kleinen Pony Sitzübungen, ohne Zügel und ohne Bügel. Davon profitiere ich noch heute.

Für das Wohlergehen eines jeden Pferdes sind Haltung, Gesundheit und Ernährung wesentliche Punkte, die auch Einfluss auf den Umgang mit ihm haben. Was bedeutet für Sie artgerechte Pferdehaltung und wie sieht diese Ihrer Meinung nach aus?

Zunächst einmal muss uns bei diesem Punkt klar werden, dass Pferde nicht zum Reiten gemacht sind und sie bei uns in Gefangenschaft leben. Dazu kommt noch, dass Pferde und Menschen von der Natur nicht füreinander gemacht sind, d.h. sie würden normalerweise nicht aufeinandertreffen. Daraus resultiert, dass Pferd und Mensch nicht miteinander kommunizieren können bzw. sich nicht verstehen. Auch wenn der Mensch denkt, das Pferd versteht ihn und umgekehrt, so zeigt die Praxis, dass es sehr viele Missverständnisse gibt. Das liegt daran, dass Pferde und Menschen in unterschiedlichen Systemen leben.

In Gefangenschaft ist es so, dass sich Pferde zu wenig bewegen und zu viel fressen. Der Körper des Pferdes ist für die dauerhafte Nahrungsaufnahme mit sehr sehr magerem Futter bei viel Bewegung ausgelegt. Beobachten wir Pferde auf der Weide, sehen wir zwei Probleme: Pferde bewegen sich nicht und fressen satt grünes Gras, das entspricht nicht ihrer Natur. Diese Pferde werden dann viel zu untrainiert von uns geritten. Das ist im groben das Problem. Dazu kommt noch, dass die Methoden beim Reiten oder am Boden veraltet sind. Sie stammen aus dem letzten Jahrhundert. Sie entsprechen auch keiner gängigen Praxis anderer Disziplinen wie Kraft- oder Ausdauersport.

Für mich ist es deshalb wichtig, den Körper des Pferdes optimal zu trainieren und damit optimal auszubelasten – in die sogenannte Superkompensation zu bringen. Das macht man mit einer hohen Trainingsintensität, was eine maximale Ausbelastung des Körpers zur Folge hat bei minimalstem Verschleiß. Dazu muss man das Pferd frei trainieren. Es gibt keinen Sportler, egal in welcher Sportart, der fixiert trainiert wird. Jede Fixierung fördert Verschleiß. Außerdem ist es wichtig, Pferde hohes Tempo im Training laufen zu lassen, damit der Bewegungsapparat maximales Bewegungspotenzial entwickelt und die Lungen möglichst gut belüftet werden. Sobald wir das über eine gewisse Zeit gemacht haben, bereiten wir das Pferd auf das Reiten vor, so dass es sich beim ersten Aufsitzen und Reiten sofort entspannt und nicht versucht, Sattel oder Reiter loszuwerden.

Artgerecht bedeutet, sich von der Konditionierung zu lösen und die Probleme an der Ursache zu lösen und nicht den Symptomen. Weiterhin bedeutet es, das Pferd körperlich als auch mental auf seine Aufgaben vorzubereiten, und zwar so vorzubereiten, dass wir mit dem Pferd von Erfolg zu Erfolg kommen. Das heißt, das Pferd ist selbst beim ersten Satteln oder ersten Reiten vollkommen entspannt. Bei der Vorbereitung ist es unabdingbar, das Lernverhalten, die Motivationspsychologie und die Mechanismen der Angst zu kennen und im Training zu berücksichtigen.

Ein Pferd kann unter Stress keine Rückschlüsse mehr ziehen, ein Pferd kann durch Desensibilisierung keine Angst verlieren. Ein Pferd kann bei täglichem Training der Kraft und Ausdauer NICHT aufbauen, da es ins sogenannte Übertraining kommt. Ursachen beheben und keine Symptome wegkonditionieren. Mageres Heu den ganzen Tag in kleinen Mengen zur freien Verfügung, Auslauf rund um die Uhr, Sozialkontakt/Herde rund um die Uhr. So im groben würde ich das beschreiben wollen.

Trotz des langen Weges vom Wildpferd zum Hauspferd sind Pferde immer noch sehr stark von der Natur und den eigenen Instinkten geprägt. Was ist daher aus Ihrer Sicht wichtig beim täglichen Umgang miteinander?

In erster Linie ist es wichtig zu erkennen, dass Pferde andere Maßstäbe ansetzen. Sie bauen keine Beziehung auf, so wie wir das denken. Pferde funktionieren ganz anders. Das, was wir glauben zu sehen im Pferd, entspringt nur unserem Verstand und hat mit dem Pferd oft nichts zu tun. Pferde sind sehr intelligent und sehr soziale Tiere. Wir müssen lernen, uns in ihrem System zu bewegen.

Timo Ameruoso
Pferde setzen andere Maßstäbe (Foto: Rowohlt Verlag)

Bei Ihrem System des autodynamischen Reflexionsprinzips nutzen Sie Thesen der Psychologie, Hirnmechanik und Herdendynamik auf wissenschaftlicher Basis. Wie müssen wir uns dies vorstellen und wie sieht diese Trainingsmethode konkret aus?

Die Hirnforschung hat sehr hilfreiche Erkenntnisse gewonnen. Die erste und grundlegende ist die, dass maximale Potenzialentfaltung nur durch eine gute Beziehung entsteht. Sie weiß bereits ebenfalls, dass Konditionierung hierbei nicht hilfreich ist! Herdendynamik ist im Grunde das, was ein Pferd zu einem Pferd macht. Wo stehe ich oder mein Gegenüber in der Hierarchie? Eine Herde ist hierarchisch aufgebaut, auch wenn einige das Gegenteil behaupten, ist das so. In dieser Hierarchie müssen wir uns bewegen. Zum Beispiel: Wer nimmt zuerst Kontakt auf, wer bestimmt Tempo und Richtung, Kompensationsverhalten, Manipulationsverhalten usw.

Beim aRp ist es so, dass wir das sichtbare Verhalten des Pferdes als Symptome einordnen. D.h., beißt mein Pferd beim Satteln, so ist das ein Symptom und keine Ursache. Wir vernachlässigen diese Symptome und finden die Ursache und lösen das Problem an der Ursache. Im Gegensatz zum bekannten Join up beachten wir bei der Arbeit mit dem Pferd im Ring die Hirnmechanik, d.h. wir wissen aus der Hirnforschung, dass das Individuum unter Stress keine Rückschlüsse ziehen kann – also nichts lernen kann. Deshalb arbeiten wir mit dem Pferd im Grunde von Reflexionsphase zu Reflexionsphase, d.h. die Arbeit im Ring dauert selbst mit dem traumatisiertesten Pferd nur etwa 5 Minuten und davon sind 3 Minuten Pausen, um das grob in Zeit darzustellen.

Die Folge ist auch dabei eine andere als beim Join up. Folgen unserer Arbeit sind zum Beispiel die Fixierung des Pferdes auf den Menschen – das ist anders als beim Join up und hat mit den Hirnhemisphären zu tun. Es geht um den Abbau des Fluchtreflexes und des Herdentriebs – das ist einzigartig in der Pferdewelt – Pferde werden hierbei NICHT desensibilisiert, sondern das Selbstbewusstsein des Pferdes und Menschen aufgebaut. Bezogen auf das Pferd ist es so, dass der Abbau des Fluchtreflexes ein höheres Selbstbewusstsein zur Folge hat. Das kann auch an sogenannten dissoziativen Pferden beobachtet werden. (Dissoziativ findet man bei schwer traumatisierten vor – das bedeutet innere Abspaltung).

Ein Trainingsintervall bei sehr ängstlichen Pferden kann wie folgt aussehen: 1 Runde links, 1 Runde rechts, ½ Runde links, ½ Runde rechts und dann die Reflexionsphase. Sie sehen sehr kurz. Die Rf hat eine Länge von 30-90 Sekunden. Das Ganze wird etwa in 4-5 Durchgängen gemacht und mit einer Kontaktaufnahme beendet. Alles in allem dauert das 5 Minuten zzgl. der Aufwärmung des Pferdes. Das ist Herdendynamik und diese Vorgehensweise wirkt sich auf das gesamte System aus. So hören auch Pferde damit auf, vor Plastikplanen, Wassergräben uvm. Angst zu haben, OHNE sich mit diesen Dingen zu befassen. Klingt unglaublich, ist aber einfach erklärt. Das Pferd ist ein geschlossenes System und alles wirkt sich aufeinander aus und das, was wir sehen können, sind nur Symptome, keine Ursachen.

Sie selbst sind Vorbild für viele Menschen nicht nur in der Welt der Pferde. Wer aber inspiriert Sie vor allem in der Pferdewelt am meisten und weshalb?

Offen gesagt habe ich in der Pferdewelt keine Vorbilder, mich inspirieren Menschen wie Muhammad Ali (Boxer), Mark Aurel, Bruce Lee, Mandela und noch einige andere. Das sind Menschen, die die Welt veränderten und große Leistungen vollbracht haben, vor allem weil, sie Widerstände überwunden haben oder weil sie Denker waren wie Mark Aurel.

Timo Ameruoso
Gemeinsame Wege gehen (Foto: Rowohlt Verlag)

Herr Ameruoso, Ihre Lebensgeschichte ist bis hierher schon eine sehr bewegte und bewegende gewesen. Trotz aller Rückschläge haben Sie aber immer den Weg nach vorne gesucht und schon so viel erreicht. Wie sehen ihre Pläne für die Zukunft aus?

Mit meiner Frau habe ich 2019 begonnen, unser Seminar- und Leistungszentrum zu bauen. Wir haben eine sehr große Menge Geld investiert, um einen Ort zu schaffen, in dem unsere Forschung weiter vorangetrieben wird, das Verhalten des Pferdes noch intensiver analysiert wird und ich meine Trainingstechniken weiterentwickle. Ein weiterer Punkt ist meine neue Live Show „Mit einem PS zum Erfolg“. Diese Bühnenshow vereint mein Wissen über die Pferde mit den Erfahrungen aus meinem Leben und ist für die Menschen. Jeder, der an sich zweifelt, in einer Sackgasse steckt, der im Leben weiter kommen will uvm. findet sich in diesem Live-Event wieder.

Welchen Rat möchten Sie zum Schluß anderen Pferdefreunden noch mit auf den Weg geben?

Achtet mehr auf die Ursachen, weniger auf die Symptome. Das, was sich für uns gut anfühlt, muss nicht zwangsläufig auch für das Pferd gut sein. Lernt euer Pferd zu verstehen, achtet auf die Details. Kein Problem kann so groß sein, dass es nicht auch dafür eine Lösung gibt!

Vielen Dank Herr Ameruoso, dass Sie sich trotz Ihrer zahlreichen Termine die Zeit für unsere Fragen genommen haben.

Wenn du noch mehr über Timo Ameruoso und seine Arbeit erfahren möchtest, findest du weiter Informationen auf seiner Website.

Wir freuen uns, wenn Du den Beitrag mit Deinen Freunden teilst oder einen Kommentar hinterlässt...

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert