Reiten mit oder ohne Gebiss?
Ein Thema, dass immer wieder für Diskussionen nicht nur in Reiterkreisen sorgt, ist der unsachgemäße und teilweise brutale Umgang der Reiter mit ihrem Pferd. Angesichts der vielen negativen Vorfälle auf so manchen Turnieren sowohl im Amateur- wie auch Profibereich, die vom Missbrauch der traditionellen Ausrüstung bis hin zu abschreckenden Bildern von Pferden mit blutenden Mundwinkeln u.s.w. reichen, gibt es immer mehr Reiter, die sich nach vollendeter Harmonie mit ihrem Pferd sehnen und sich daher für den gewaltfreien Umgang mit dem Pferd einsetzen. Früher oder später taucht dann häufig auch die Frage auf, mit welchem Gebiss soll ich mein Pferd eigentlich reiten, oder vielleicht ganz ohne?
Vorurteile und Gegenargumente
Wer träumt nicht vom versammelten Galopp am endlosen Strand, bei dem das Pferd ohne Gebiss oder sogar ganz ohne Kopfstück seine Bahnen zieht und auf die kleinste Gewichtshilfe reagiert. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Schnell tauchen die ersten Gegenargumente auf: Gebisslos lässt sich nicht in Anlehnung reiten, es lässt sich keine Versammlung erarbeiten, Verspannungen lassen sich nicht geziehlt lösen, die Pferde stumpfen ab gegenüber Zügelhilfen, ohne Gebiss läßt sich ein durchgehendes Pferd nicht anhalten, nicht alle Versicherungen übernehmen Schäden, die durch oder beim Reiten ohne Gebiss entstehen, um nur einige zu nennen. Manche Zeitgenossen sagen sogar, gebisslos zu reiten sei eine Gefahr für Pferd und Reiter. Interessant sind hierzu die Beiträge „Gebisslos reiten – von Vorurteilen und Gegenargumenten“ und „Fakten, Vorteile und Kritiken zum gebisslosen Reiten„, in denen Du die am häufigsten verwendeten Argumente gegen das gebisslose Reiten findest und auch die entsprechenden Gegenargumente.
Wissenschaftliche Studien
Um sich weitere Gedanken über das Reiten mit oder ohne Gebiss zu machen, müssen wir uns erst einmal mit den eventuellen Folgen der Einwirkung des Gebisses auf das Pferdemaul auseinandersetzen. Dazu gibt es mittlerweile einige Studien und Untersuchungen, die ich sehr interessant finde. Dr. Robert Cook z.B. untersuchte drei Jahre lang hunderte Pferde. Dabei stellte er fest, dass das Gebiss verantwortlich ist für zahlreiche Verhaltensstörungen und pathologische Veränderungen der Kieferknochen. Als Fremdkörper im Pferdemaul ruft es außerdem verschiedene Reflexe aus dem Bereich der Nahrungsaufnahme hervor, die das Pferd im Endeffekt auch in seiner Atmung behindern können.
Die Tierärztliche Hochschule Hannover wiederum wies nach, dass es in der Mundhöhle des Pferdes eigentlich gar keinen Platz für ein Gebiss gibt. Da die meisten Warmblüter durch die Veredelung mit Vollblütern einen kleineren Kopf und eine zierlichere Mundhöhle bekamen, die Größe und Dicke der Gebisse aber weitgehend unverändert geblieben ist, sei dies um so schlimmer. Eine weitere Studie aus St. Petersburg kam zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung von Knochenhaut und Unterkieferknochen bei fast jedem mit Gebiss gerittenem Pferd vorkommt.
Prof. Dr.H. Preuschoft stellt in seiner Studie „Die Wirkung von Gebissen auf das Pferdemaul“ fest, dass naturgemäß das Maul des Pferdes noch empfindlicher als sein Nasenrücken ist. Schließlich ist es mit einer sehr sensiblen Mundschleimhaut ausgekleidet und dicht mit Nerven versehen. Dies versetzt das Pferd z.B. in die Lage, aus einem ganzen Büschel Gras einen einzigen schlechten Halm herauszufiltern und auszusortieren! Um daher einmal zu verdeutlichen, wie sich ein Pferd bei unsachgemäßer Reitweise und grober Zügelführung eventuell fühlen kann, möchte ich hier einen Abschnitt zitieren, den ich im Buch Diagnose: Pferdefieber! von Ingo Schmidt gelesen habe:
„Stell dir vor, dir wird der Mund zugebunden, dein Kopf ist fest verschnürt durch geschickt verlaufende Riemen und Seile, mit denen jede, aber auch jede Bewegung deines Kopfes kontrolliert wird. Nur leider nicht von dir selbst. Jetzt sagt man dir noch, du sollst mal schön kauen und schiebt dir ein Stück Vollkornbrot in die verbliebene winzige Spalte zwischen deinen Zähnen. Dann zieht man dir den Kopf auf die Brust und zwingt dich zu laufen, und zwar schnell zu laufen.
Während des Laufens wird dein Kopf mal nach rechts und dann wieder nach links gezogen. Wenn du zu langsam läufst, piekt man dir einen spitzen Gegenstand in den Rücken oder schlägt dich mit der Gerte. Schon nach wenigen Sekunden spürst du die Verkrampfung deiner Muskulatur, aber jeder Versuch, sich einen Moment zu strecken oder gar den Mund ein wenig zu öffnen, wird durch das System von Riemen und Seilen, das deinen Kopf fest umschließt, verhindert. Damit nicht genug, jeder Befreiungsversuch wird mit einem weiteren, noch stärkeren Ziehen deines Kopfes auf die Brust bestraft.
Du kannst nicht richtig kauen? Deine Atmung ist behindert? Irgend etwas bohrt sich in deinen Gaumen? Du hast Muskelschmerzen? Du bekommst Panik, weil jede deiner Bewegungen von außen kontrolliert wird, und zwar in einer Weise, die unangenehm und schmerzhaft ist? Du wirst aggressiv? Das wird dir nichts nützen, denn neue Riemen, neue Seile und ein noch stärkeres Zubinden deines Mundes werden jeden Versuch der Befeiung im Keim ersticken! Du hälst das nicht mehr aus? Schade für dich, dass das niemanden interessiert…“ (Quelle: Regina Rheinwald – Autorin, Verhaltenstherapeutin für Pferde und Reitlehrerin)
Gebisslose Zäumungen, eine Alternative?
Spätestens jetzt sollte uns wieder einmal mehr bewußt sein, wie wichtig es ist, aufmerksam auf jede noch so kleine Reaktion unseres Pferdes zu achten und äußerst behutsam mit Hilfen und Einwirkungen umzugehen. Pferdefreunde führen nun an, dass gebisslose Zäumungen die schonende Alternative sind: Sidepull, Bitless Bridle, Starbridle, Hackamore, Bosal oder auch Glücksrad(LG-Zaum), um nur die wichtigsten zu nennen. In „Die 6 meistgenutzten gebisslosen Zäumungen und ihre Wirkung“ werden diese ausführlich vorgestellt und auch die Wirkungen der einzelnen Zäumungen erklärt.
Für mich fühlt sich das Reiten ohne Gebiss zwar irgendwie stimmiger an, allerdings können wir es uns jetzt nicht so einfach machen und behaupten, dass gebisslose Zäumungen für jedes Pferd und jeden Reiter die einzig wahre Lösung sind. Einerseits spielen der Ausbildungsstand von Pferd und Reiter natürlich eine Rolle und wenn wir uns die Wirkungsweise der gebisslosen Alternativen anschauen, dann dürfte uns schnell klar werden, dass auch diese dem Pferd bei unsachgemäßer Handhabung sehr wohl Schmerzen und Unannehmlichkeiten bereiten können.
Fazit
Letztendlich kannst also nur Du selbst entscheiden, was für Dich und Dein Pferd die beste Lösung ist, denn den einen richtigen Weg gibt es nicht. Wie heisst es so schön: Probieren geht über studieren – allerdings muß dabei sichergestellt sein, dass die Gesundheit und das Wohlbefinden deines Pferdes an erster Stelle stehen. Ein Beispiel kann dir Melanie Meier sein, die bei ihrem Pony Penny vor dem gleichen Problem stand.
Damit jedes Pferd die optimale Ausrüstung erhalten kann, ist aber auch Toleranz gegenüber anderen Reitweisen und Ausbildungsmethoden ein wichtiger Aspekt. Dafür ist es erforderlich, dass festgefahrene Strukturen aufgelöst werden und z.B. auch das Reiten mit gebisslosem Zaum auf Turnieren erlaubt werden muss. Richtiges Reiten ist schließlich angewandter Tierschutz und egal, ob Reiten mit oder ohne Gebiss, entscheidend ist letztendlich immer die Hand des Reiters!
Hast Du Dir schon einmal Gedanken über gebissloses Reiten gemacht oder es sogar schon einmal ausprobiert? Wie siehst Du die Diskussionen um dieses Thema und was ist Deine Meinung dazu? Ich freue mich auf deinen Kommentar oder Deine Erfahrungen…