Positive Psychologie mit Pferden

Der Wendepunkt in unserer Pferd-Mensch-Beziehung

Jeder Pferdemensch wird mir zustimmen: Das Leben mit Pferden ist wundervoll. Mit diesen majestätischen, schönen, kraftvollen Lebewesen seine Zeit zu verbringen, ist ein Geschenk. Wir erleben zahlreiche schöne Momente mit unseren Pferden, die uns eng mit ihnen verbinden. Tagtäglich widmen wir uns ihrer Fellpflege, gehen mit ihnen spazieren, reiten oder gymnastizieren sie am Boden.

Gleichsam wird mir jeder Pferdemensch zustimmen, wenn ich sage: Das Leben mit Pferden ist voller Herausforderungen. Wenn sie krank werden, machen wir uns Sorgen. Haben sie eine schwierige Vorgeschichte, investieren wir ebenfalls viel Zeit, Energie und Geld, damit sie diese überwinden. Teils begleiten uns Ängste und Unsicherheiten, manchmal falsche oder zu hohe Erwartungen, die wir an uns oder unsere Pferde haben.

Doris Cornils (Foto: Doris Cornils)

Der wunderschöne Friese Gerrit kommt in mein Leben

Als Gerrit, dieser stolze, schöne Friese vor zehn Jahren in mein Leben kam, war ich voller Hoffnung, dass bei uns die positiven Erfahrungen überwiegen werden. Gerrit hat ein einnehmendes, freundliches Wesen und einen fairen, sozialen Umgang mit seinen Artgenossen. Sein Ausbildungsstand entsprach meinem als Freizeitreiterin. Gleichsam zeigten sich bei ihm auch ein paar „Baustellen“.

Seine Hufe und sein Schweif sahen nicht optimal gepflegt aus und seine Zähne hatten einige Zeit den Tierarzt nicht gesehen. Der Sattel, mit dem er bis dato geritten wurde, passte nicht mehr und das Zaumzeug hatte ebenfalls seine besten Jahre hinter sich. Entsprechend war seine Muskulatur nicht optimal und sein Mineralhaushalt unausgewogen. Im Umgang mit Menschen war er teils etwas rumpelig. Das war aber nichts, was mir größere Sorgen bereitete. Mir schien, wir hatten gute Chancen uns gemeinsam weiterzuentwickeln.

Mir war entsprechend vor dem Kauf bekannt, dass Gerrit diese „Baustellen“ mitbrachte. Die Frau, die als Vermittlerin zwischen dem Vorbesitzer und mir agierte, formulierte es so: „Gerrit bringt Herausforderungen mit, ja. Aber das kriegst du hin!“

Was soll ich sagen: Mit Gerrit war es Liebe auf den ersten, zweiten, dritten und vierten Blick. Ich ließ mir vier Wochen Zeit, besuchte ihn wöchentlich und weil das „ja“, ein beständiges „ja“ blieb, kaufte ich ihn.

Und ich tat das, was alle Pferdefreunde tun: Er bekam alles, damit es ihm gut ging. Zur Diagnostik und Behandlung zog ich Tierärzte, Osteopathen, Bioresonanz- und TCM-Therapeutinnen, eine Sattlerin und einen neuen Hufschmied hinzu. Er bekam Mineralstoffe und da eine Parodontose diagnostiziert wurde regelmäßige Zahnbehandlungen. Gerrit erhielt Akupunktur- und Bioresonanztherapie, einen neuen Sattel, ein passendes leichteres Gebiss und viel Unterstützung für sein Wohlergehen.

Ein Jahr lang ging es ihm stetig besser. Bis zu dem Zeitpunkt, als sein linkes Auge sich entzündete und damit nicht mehr aufhören wollte. Die Diagnose: periodische Augenentzündung.

Krankheiten bestimmten unser Leben

Mit dieser Augenerkrankung begann ein Krankheitsweg, der vier Jahre andauern sollte. Die periodische Augenentzündung wurde nach langer Vorbehandlung von einer Spezialistin operiert. Sein linkes Auge blieb erhalten, er hatte jedoch seitdem erhebliche Sehbeeinträchtigungen. Zu allem Übel bekam er in der Klinik nach der Operation noch eine lebensbedrohliche Kolik. Eine gute Freundin war diese Nacht an meiner Seite und stand mir bei. Was sagte die Ärztin, nachdem er die Kolik überlebt hatte: „Ich habe ihn nachts mit ins Bett genommen und gebetet, dass er es schafft.“ Zum Glück hat er das.

Zwischen der ersten und der zweiten Operation – dieses Mal musste er wegen einer lebensbedrohlichen Kolik notfalloperiert werden – war Gerrit in regelmäßigen Abständen krank. Von Druse über Venenentzündung bis hin zu einer langen Nachbehandlungszeit des Auges zog die Zeit ins Land. Und um ehrlich zu sein, fallen mir nicht mehr alle weiteren Krankheiten ein, die er zwischendurch hatte. Ich sag mal so, die Tierärzte und verschiedenste Naturheiltherapeuten und -therapeutinnen waren regelmäßig bei Gerrit zu Gast.

Gerrits Pflege- und Krankenschwester

Wir gingen durch dick und dünn und mit jeder neuen Herausforderung wurden wir zu engeren Vertrauten. Gleichzeitig veränderte sich meine Rolle in unserer Mensch-Pferd-Beziehung von Jahr zu Jahr zunehmend in Richtung Pflegerin und Krankenschwester von Gerrit. Die Nachbehandlungsanweisungen seitens der Klinik nach der Augenoperation waren ein Fulltimejob, der morgens vor der Arbeit begann und abends spät endete. Die Wochenenden verbrachte ich mit meiner Tochter gleich ganztätig im Stall. Allein dieses Pflegeprogramm dauerte mehrere Monate.

Ans Reiten war nicht mehr zu denken. Gerrit musste sich von der OP erholen und neu aufgebaut werden. Und genau das sollte zu unserem Dauerzustand werden: Krankheit – Neuaufbau – Krankheit – Neuaufbau usw.

Ich war in ständiger Sorge um ihn und unsere Pferd-Mensch-Kranken-Pflegebeziehung entwickelte sich innerhalb der vier Jahre zunehmend zu einer Belastung. Es fühlte sich wie ein Kreislauf an, in dem wir uns verstrickt hatten und aus dem wir nicht mehr herausrauskamen. Weil da stets die Befürchtung im Raum stand, er könnte wieder krank werden, konnte ich inzwischen auch Gerrits gesunde Phasen nicht mehr richtig genießen.

Mir war klar, so kann es nicht weitergehen. Da therapeutisch alles gemacht wurde, schien es mir am sinnvollsten an mir und meiner Haltung sowie an unserer Beziehung etwas zu verändern. Nur wie?

Gemeinsam durch Dick und Dünn (Foto: Doris Cornils)

Experiment Positive Psychologie mit Pferd

Ich war zu diesem Zeitpunkt mit der Positiven Psychologie bereits etwas vertraut. Diese noch eher junge Wissenschaft, die sich mit der Frage beschäftigt, wie Menschen aufblühen und was sie tun können, um ihr Wohlbefinden zu fördern, hat eine Vielzahl von Übungen erforscht und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Eine Übung, die ich bereits erprobt hatte, trägt die Bezeichnung „Drei gute Dinge.“ Dabei schreibt man über einen Zeitraum von mehreren Wochen abends drei positive Ereignisse oder Augenblicke des Tages auf.

Ich hatte nichts zu verlieren. Deshalb startete ich das Experiment, diese Übung auf uns anzuwenden. Abends schrieb ich täglich drei Momente auf, die mit Gerrit und mir gut liefen und schön waren.

Parallel dazu las ich mich in ein Kernthema der Positiven Psychologie ein und verschlang die Literatur über Charakterstärken. Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat über viele Jahre daran geforscht, über welche Charakterstärken Menschen weltweit, unabhängig von ihrem Alter, ihrer Kultur, ihrer Herkunft, ihres Geschlechts usw. verfügen. Dabei kamen 24 Charakterstärken heraus, die bei jedem Menschen, je nach Lebenssituation, unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Ich lernte viel. Unter anderem, dass wir unsere Stärken stärken können.

Ich begann darüber nachzudenken, welche der 24 Charakterstärken in mir in den letzten Jahren durch Gerrit und unsere gemeinsame Reise durch Höhen und Tiefen gestärkt worden waren. Zu meinem großen Erstaunen stellte ich fest, dass es sehr viele waren. Als ich in meine Reflexion noch jene Erfahrungen einbezog, die ich im Horse(wo)manship-Training mit Gerrit machte, dass wir vor einiger Zeit begonnen hatten, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Gerrit war ein Allround-Charakterstärkentrainer.

Ich hatte in den letzten Jahren mehr Geduld, Hartnäckigkeit und Ausdauer entwickelt und Gerrit tapfer zur Seite gestanden. Zahlreiche berührende Momente verbanden uns auf eine neue, tiefe Weise miteinander. Wir sind uns, trotz der Herausforderungen, freundlich und liebevoll begegnet. Es gab viele Situationen, in denen ich Entscheidungen treffen und abwägen musste, was der nächste Schritt für ihn war. Dieses hatte zur Stärkung meines Urteilsvermögens beigetragen. Wenn ich Fehlentscheidungen traf, war Gerrit nicht nachtragend. Das machte es mir leichter, mir dafür zu verzeihen.

Ich lernte mich besser emotional und mental zu regulieren und mehr im gegenwärtigen Moment körperlich präsent zu sein. Gerrit hat mir gezeigt, dass es sich lohnt durchzuhalten und selbst in teils ausweglos erscheinenden Situationen niemals die Hoffnung aufzugeben. Er war und ist der geduldigste Lehrer für mein Erlernen der pferdischen Körpersprache und der Kommunikation durch Raumverhalten. Zu lernen auf körperlicher, geistiger und mentaler Ebene gleichzeitig nonverbal zu kommunizieren, zählt bis heute zu einer der beeindruckendsten Erfahrungen und einer Kompetenz, die ich stetig weiter ausbauen will. Gerrit öffnete mir die Augen für die großartigen Fähigkeiten von Pferden und zeigte mir, dass sie die geduldigsten Stärken-Lehrer auf allen Ebenen sind, die wir uns nur wünschen können.

Es war, so stellte ich nach meinem mehrmonatigen Positive-Psychologie-mit-Pferd-Experiment fest, alles eine Frage der Betrachtungsweise. Als ich noch in der Sorgen-Krankenschwester-Spirale innerlich gefangen war, gelang es mir nicht mehr das Positive wahrzunehmen. Als ich jedoch die Perspektive änderte, wandelte sich alles. Ich erkannte, dass die herausfordernden vier Jahre auch Gutes mit sich gebracht hatten und dass ich in meiner Persönlichkeit gewachsen war. Unsere Verbindung veränderte sich aufgrund meines Wandlungsprozesses in eine gesunde und positive Mensch-Pferd-Beziehung. Und das Beste war – und damit hatte ich nicht gerechnet – Gerrits Gesundheitszustand stabilisierte sich.

Mich berührten und beeindruckten diese Erfahrungen derart nachhaltig, dass ich mich auf die Suche nach wissenschaftlichen Antworten begab. Ich habe sie in der Kombination von Positiver Psychologie, Neurobiologie von Menschen und Pferden, der Embodiment- und Biophilieforschung und den natürlichen Fähigkeiten von Pferden gefunden. In meinem ersten Buch beschreibe ich diesen interessanten Findungsprozess und noch vieles mehr über Gerrits und meine gemeinsame Reise.

Gerrit lebt seit einigen Jahren in einem Stall, in dem er sich rundum wohl fühlt. Obwohl er auf dem linken Auge inzwischen erblindet ist, machen wir mit großer Freude wieder Freiarbeit. Unsere Beziehung hat sich gravierend verändert und ist positiver und vertrauter als jemals zuvor.

Stärken stärken mit Pferdestärken

Im März 2024 erschien mein gleichnamiges Buch. Ich habe es Gerrit gewidmet. Diesem Buch gingen meine Ausbildungen als pferdegestützte Coach sowie als zertifizierte Anwenderin der Positiven Psychologie voraus. Als ich das Thema „Positive Psychologie mit Pferden“ der Gruppe und Dr. Daniela Blickhan, meiner Ausbilderin und einer Expertin der Positiven Psychologie, vorstellte, gab es berührende und ermutigende Rückmeldungen.

Auf der Grundlage dieser Abschlussarbeit entwickelte ich mein Buch mit oben beschriebenen Inhalten sowie den beiden neu konzipierten Coachingansätzen Stärken stärken mit Pferdestärken und das Embodiment-Pferdestärken-Coaching (kurz Embodi-PS-Coaching®).

Ich möchte mit meinen Büchern über die Positive Psychologie mit Pferden – mein zweites erscheint im Herbst dieses Jahres – und mit meiner Arbeit als Coach Pferdemenschen von meinen Erfahrungen erzählen und sie ermutigen, sich für die Perspektive zu öffnen, dass sie die weltbesten Stärken-Trainer an ihrer Seite haben: Ihre Pferde!

Wer sich für diese Betrachtungsweise öffnet und mit seinem Pferd den Weg der Positiven Psychologie geht, wird die Beziehung zu sich selbst und die mit seinem Pferd auf ein neues Glückslevel heben. Da bin ich mir sicher.

Über Doris Cornils

Doris ist zertifizierte Anwenderin der Positiven Psychologie, pferdegestützter Coach und studiert Pferdepsychologie. Sie veröffentlichte im März 2024 ihres erstes Buch und im Herbst 2024 erscheint ihr zweites über die Positive Psychologie mit Pferden. Außerdem ist sie Mitbegründerin und erste Vorsitzende vom Verein Pferdepower e. V.

Wenn sie nicht gerade ihre Zeit mit Pferden verbringt, arbeitet sie als Businesscoach, Trainerin und hält Vorträge. Um mehr über Doris zu verfahren, schau gerne auf ihrer Webseite oder auf Instagram vorbei.

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