Tanja Rühter-Böttger im Interview
Hoch im Norden Deutschlands ist Tanja Rühter-Böttger zuhause. Gemeinsam mit ihrer Familie und den Pferden lebt sie auf dem Gästehof Rehedyk in St. Michaelisdonn, umgeben von wunderschöner Landschaft und einmaliger Natur. Hier, nahe der wunderbaren Nordsee, hat sie ihren Traum verwirklicht und bietet ihren Gästen mit achtsamen Pferdetraining nach traditionellem Horsemanship sowie tiefenentspanntem Urlaub mit dem Pferd die besten Voraussetzungen, um gemeinsam neue Wege zu gehen.
Tanja selbst weiß nur zu gut, was es bedeutet, neue Wege zu gehen. Während Sie als Kind pure Lebensenergie und Freude im Umgang mit Pferden empfand, ging später durch Leistungsdruck diese Freude und Unbekümmertheit verloren und damit auch das Vertrauen ihres Pferdes. Doch erst nach Krankheit und einem schrecklichen Verkehrsunfall kamen Menschen in Tanjas Leben, die ihr einen anderen Weg mit Pferden zeigten. Einen Weg, bei dem es um gewaltfreie Führung, Sicherheit, Vertrauen und Verständnis für das Pferd sowie um Selbst- und Weiterentwicklung im Menschen ging.
Ein Seminar bei Mark Rashid war letztendlich der Auslöser dafür, dass Tanja ihren Weg noch einmal ganz neu begann. Seine Philosophie von wahrem Horseman(!)ship wurde zum Schlüssel für ihr weiteres Leben, der ihr dazu verhalf, erfüllter in allen Dingen des Lebens zu werden. Wer möchte das schließlich nicht, daher war dies für mich Grund genug, Tanja Rühter-Böttger einige für mich wichtige Fragen zu stellen, um mehr über ihren Weg zu erfahren:
Tanja, Pferde sind einfach wunderbare Geschöpfe und sie faszinieren uns immer wieder aufs Neue. Daher fühlen sich viele Menschen von diesen edlen Tieren magisch angezogen. Bereits als Kind hat Ihr „Zauber“ Sie mitten ins Herz getroffen. Wie sind Sie zu den Pferden gekommen und was fasziniert Sie an ihnen?
Zuallererst: Als Kind empfand ich das Verlangen nach purer Freundschaft mit Pferden. Unzählige Pferdebücher folgten im Schulkindalter. Dort galt es, Abenteuer zu bestehen, Probleme zu lösen und um eines meiner Lebensthemen: „Trennungen“ bzw. „Beziehungen“. Ich empfand Pferde immer als ein Zuhause für mich. Eine reelle und wahre Freundschaft. Einen Halt, den ich – wie ich viel, viel später in meine Leben erkennen „durfte“ – wohl erst wirklich nur in mir finden würde. Dieses Gefühl wollte ich Pferden auch zurückgeben können. Ich denke, ihr Aussehen, ihre Energien, ihre Augen und das Freie und Ungezwungene in ihren Bewegungen haben mich einfach fasziniert. Als Kind – und auch heute noch.
Haltung, Gesundheit und Ernährung sind wesentliche Punkte für das Wohlergehen eines jeden Pferdes und haben auch Einfluss auf den Umgang mit ihm. Was bedeutet für Sie artgerechte Pferdehaltung und wie sollte sie Ihrer Meinung nach aussehen?
Meiner Meinung nach sollten die Pferde heutzutage nicht mehr in Boxen stehen müssen. Der Bewegungsmangel ist durch den Alltag der Besitzer (Arbeit + Privatleben) einfach viel zu groß. Ein durchdachter Offenstall mit einem wachen Auge und einem guten Hintergrundwissen des Betreibers für die Herde und ihre einzelnen Bedürfnisse, Kompetenzen und Charaktere wäre fantastisch. Natürlich darf das Thema gutes Futter gar nicht erst aufkommen und sollte selbstverständlich sein.
Pferde brauchen sich untereinander, gutes Futter und natürlich genug Bewegung. Dann tauchen einige aufgezählte Probleme von Pferdebesitzer gar nicht erst auf. Ausgeglichene Pferde sind in der Bewegung / beim Training entspannter, konzentrierter und achtsamer. Sie lassen sich auf die Kommunikation mit dem Menschen ein und eine Verständigungsgrundlage kann erarbeitet werden. Diese Grundlage, gepaart mit einem guten Grundwissen der Reiter und Pferdebesitzer betrifft dann auch unser aller Sicherheit im Alltag.
Als Tier, welches immer noch sehr stark von der Natur und den eigenen Instinkten geprägt ist, stellt das Pferd besondere Anforderungen an einen artgerechten Umgang. Für uns als Partner ist es daher wichtig, uns auf die Bedürfnisse der Pferde einzustellen. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig beim Umgang mit Pferden?
Das Allerwichtigste für uns ist, motiviert zu lernen. Über uns selber – und über die Pferde. Da Pferde genau, naturgemäß, stark von Instinkten geprägt sind und ihre Lösungen im Alltag für Situationen nicht ganz den Sicherheitsvorstellungen von uns entsprechen (schon gar nicht im Straßenverkehr usw.), ist Folgendes besonders wichtig: Wir sollten und dürfen (auch gerne von den Pferden) lernen, die Kommunikation durch unseren Körper, Muskulatur und Energien sowie Bewegungszusammenhänge und soziale Strukturen – kurz, ihren Bedürfnissen und ihrem Verständnis in puncto Sicherheit entsprechend, einzusetzen.
Es gibt noch so viel Unsicherheit und NichtWissen über die sogenannte Herdenstruktur und das „Alpha-Pferd“. Über Erziehung, Gehorsam und Dominanz, über Beziehung und/oder „Dressur“ eines Lebewesens. Es wird oft gewertet und befohlen. Das ist nicht die Welt unserer Pferde. In ihrer Welt geht es um Fähigkeiten, um Kompetenzen, die genutzt werden und um Vertrauen und Sicherheit für die Herde. Wenn man es als Besitzer bzw. Reiter schafft, durch den eigenen Körper auszudrücken, wie Sicherheit dargestellt werden kann, bekomme ich das Vertrauen des Pferdes – und nur so kann ich den Körper dann auch trainieren.
Kein Lebewesen, auch nicht wir Menschen, sind nachgiebig, durchlässig oder gelöst, wenn unser Körper gezwungen wird. Und somit kann dann keine Reiterei stattfinden, jedenfalls nicht gesunderhaltend, motivierend und leicht. Diese Körpersprache (im Zusammenhang mit dem Tastsinn, den Hilfen) im gesamten Alltag dann bewusst zu leben, bringt einen wirklichen Partner als Pferd hervor, und das in allen Situationen.
Bekannte Horsemen und Pferdemenschen dienen so manchem als Vorbild für die Ausbildung und den Umgang mit seinem Pferd, auch wenn dort manches nicht immer so pferdegerecht ist, wie es manchmal scheint. Welche Vorbilder oder wer in der Pferdewelt inspiriert Sie am meisten und warum?
Meine Vorbilder sind ganz klar Peter Kreinberg, dem ich so viel Wissen verdanke und bis heute noch aus diesem Wissenstand schöpfen darf und Mark Rashid. Ganz klar gehören dann Namen wie Buck Brannaman und Ray Hunt etc ebenfalls dazu. Diese Menschen leben/lebten die Welt ihrer Werte, vermitteln sie und es gibt kein „nicht pferdegerecht“. Ich bin dankbar, ihnen begegnet zu sein und von ihnen lernen zu dürfen. Ansonsten habe ich Freude beim Zusehen von Ingrid Klimke oder Uta Gräf.
Es ist etwas unglaublich Schönes, seinen Weg mit den Pferden gefunden zu haben. Horsemanship ist dabei für Sie zu einer Lebenseinstellung geworden. Wie würden Sie Ihren Weg und Ihre Arbeit mit Menschen und Pferden beschreiben?
Ich schlug, glaub ich, nicht den üblichen Weg ein. Ich bin lieber mit Hunden und Pferden zusammen – anstatt mit Menschen. Sie schienen mir immer ehrlicher und das schaffte Vertrauen. Die Einstellung zu dem Menschen hat sich allerdings gewandelt. So lernte ich erst die Pferde und dann die Menschen zu verstehen. Körperlich wie geistig und seelisch.
Es galt für mich als erstes „den Kreis der Reiterei“ zu verstehen. Ich las, lernte und forschte und ritt. Damals war ich erstaunt: Es gab doch tatsächlich so viele Menschen in den letzten Jahrhunderten, die sich Gedanken gemacht hatten über Pferde, über das Reiten, die Gesunderhaltung dabei, die Harmonie und die Verbindung, die zwischen Mensch und Pferd entstehen kann. Fernab von den Reitweisen ging es immer darum, ein Pferd als Reitpferd auszubilden (je nach seinem „Gebrauch“), seinen Körper zu schulen – mehr nicht. Und dafür braucht man vorab sein Vertrauen. Das war den Menschen früher bewusst. Sie waren ja auch noch wirklich abhängig vom Pferd!
Horsemanship ist eine Philosophie, keine Reitweise, wie manchmal angenommen wird. Sie ist unter anderem der Schlüssel für sich selber – hin zum Pferd. Zitat: „Das Pferd ist Dein Spiegel“…manchmal gefällt Dir was Du siehst… und manchmal nicht (B. Brannaman). Durch die „falsch gelehrte“ (oder falsch verstandene) Reiterei im ortsüblichen Verein hatte ich selber viele Beschwerden und Diagnosen, bis schließlich ein Reitverbot der Ärzte erteilt wurde. Danach gingen wir (meine Eltern und ich) ein kleines Stück den Weg der Zucht. Durch einen Autounfall kam dann dass komplette Aus – für immer – dachte ich. Bis mir jemand etwas vom „Westernreiten“ erzählte, etwas über Signalreitweise – ohne Kraft und Zügel. Etwas, was wohl sogar ich mit DEM Rücken auch machen könnte. Heute schmunzele ich sehr über solche Aussagen. Aber gesagt, gehört und getan.
Nun wurde mir ein Weg gezeigt, wie das Reiten und der Kontakt zu den Pferden wieder WIRKLICH sein kann! Wie in meinen Kindertagen! Mein erstes Buch für Know-how ums Westernreiten, war tatsächlich ein Buch von Peter Kreinberg. Glückliche Fügungen haben mich dann später in die TGT® Methode und zu anderen weisen Cowboys geführt. Die strukturierten Übungen nach TGT® und das „was dahinter“ steht sowie die Philosophie, der Umgang, das Wissen, das SEIN als Mensch in Bezug auf das Pferd haben mich total fasziniert. Der Weg, eine bessere Beziehung zu den geliebten Pferden zu bekommen. Spätestens nach dem alles veränderten Seminar mit Mark Rashid kam die Erkenntnis, dass diese Philosophie auf alle Bereiche im Leben übertragbar ist! Ein Schlüssel zu mehr Frieden, Freiheit, GlücklichSein und auch dazu, mehr man selbst sein zu können – anderen Menschen gegenüber. Und gegenüber den Pferden – zu allem.
Das, was wir alle gerade heute (in der stressigen Zeit) so suchen – unsere Mitte, unsere Balance – genau das brauchen wir als „Führer“ für unsere Pferde. Sie helfen uns also, unser Ziel des Lebens zu finden, unsere Sicherheit untereinander zu finden. Und zu guter Letzt verhelfen sie uns auch noch zu mehr Gesundheit. Balance, Mitte, gelöste und entspannte Körper – muskulär und mental im Gleichgewicht. Genau das ist das Ziel eines guten Reiters. Eines jeden Menschen. Wenn wir gut werden wollen als Reiter, lernen wir genau das. Dieses Ziel hat mich genau da hin gebracht, wo ich heute bin. Ich schlage eine Brücke von Mensch zu Pferd und in alle anderen Bereiche des Lebens.
Horesmanship ist diese Lebensphilosophie. Das Vertrauen des Pferdes geschenkt zu bekommen, wenn man an sich arbeitet. Es geht um Führung, Authentizität, BewusstSein (bewusstes Handeln und Denken), Klarheit und Sanftheit im Herzen. Danach beginnt erst das Training, die Ausbildung. Bewusst und beständig sowie funktionell und gesunderhaltend. Das ist unsere Verantwortung dem Pferd gegenüber. Dieses Thema hat mich so sehr beschäftigt, dass ich meine Erkenntnisse nun mit absoluter Freude, Erfahrung und Überzeugung an alle anderen Menschen weitergebe. Für die Menschen und für unsere Pferde. Sie haben es verdient, erkannt und gut geritten zu werden.
Tanja, auf Rehedyk haben Sie bereits ein tolles Reich geschaffen, in dem sich Mensch und Pferd wohlfühlen. Wie sehen denn Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Ich habe für dieses Jahr ein neues Programm auf Rehedyk ins Leben gerufen. Es gibt hier ab sofort Termine für ganztägige Workshops (4 oder 7 Tage), in denen sich Pferd und Mensch richtig Zeit ausschließlich für SICH nehmen können. Nur das Pferd und sein Besitzer – den ganzen Tag -. Alle Fragen können gestellt werden, es gibt keinen Zeitstress wie an einem Wochenendseminar ( 2 x täglich reiten in einem begrenztem Rahmen). Es geht um DICH und um Dein Pferd, um Weiterentwicklung – persönliche und reiterliche.
Es wird unter anderem natürlich auch Sattel- und Gebisskunde unterrichtet, kleine Vorträge werden gehalten und das alles im Rahmen von einer netten Unterkunft und Vollverpflegung. Es wird eine Grundbasis geschaffen für das Partnermodell Mensch/Pferd und eine Grundbasis der Reiterei. Wenn man diese weiß, kann man sich selber und natürlich auch gerne mit meiner Hilfe weiterentwickeln. Man bekommt die Idee, wie ein eigener Trainingsplan aufgebaut werden kann und weiß eigene Lösungen für den Umgang. Die Teilnehmer erhalten ein Grundwissen. Eine Grundeinstellung zu den Dingen. Man wird selbstständig und erhält seinen Partner Pferd einfach nebenbei als Geschenk.
Zur Weiterentwicklung und Erholung des Menschen habe ich noch das Programm „AusZeit“ ins Leben gerufen. Dort kann man sich als Mensch – mit ein bisschen Abstand zu seinem Pferd – für sich ganz alleine weiterentwickeln, im Yoga oder Qi-GongRetreat, in der Malkunst usw. Gerade habe ich noch einen sehr schönen Kontakt zu einer Klangschalentherapeutin hergestellt. Es geht um unsere Körperwahrnehmung, unser „im Hier & Jetzt sein“. Alles das kann man auch ohne das Pferde erst einmal „üben“. Und dem Pferd als Geschenk machen. Das Geschenk des Pferdes wird sein: es spiegelt EUCH einfach und ihr findet zusammen.
Auch ich bin außerhalb des Reitens den Weg des Aijdido ein Stück gegangen, des Qi-Gongs und nun des Yogas. Desweiteren mache ich zurzeit eine Ausbildung zum Resilienztrainer. Es wird ab Herbst mit einem life Coach(in) auch pferdegestützte Therapie auf Rehedyk geben. Ich freue mich schon sehr darauf, Menschen mit meinen Pferden helfen zu können, die gar nichts mit der Reiterei zu tun haben!
Welchen Rat möchten Sie zum Schluss anderen Pferdefreunden noch mit auf den Weg geben?
Hinterfragt, was man Euch sagt. Versucht wirkliches Hintergrundwissen zu bekommen und einen gesunden Blick für wirklich gute Reiterei. Versucht es jeden Tag zu vervollkommnen, Schritt für Schritt mit Freude und Humor für Euch und tragt Euer Wissen weiter, damit die Reiterei wieder in vollem Glanz erstrahlen kann. Die Pferde sagen danke.
Vielen Dank Tanja für Ihre ausführlichen und offen Antworten auf meine Fragen, die sicher so manchem Pferdefreund Mut und Anregungen geben werden für das Zusammensein mit seinem Pferd und den eigenen Weg. Für Rehedyk und Ihre tollen Angebote dort wünsche ich Ihnen weiterhin viel Freude und Erfolg.
Wenn du nun weitere Informationen über Tanja Rühter-Böttger und ihre wunderbaren Projekte suchst, findest du diese auf ihrer Website oder der von Rehedyk.