Bianca Gruber im Interview
Horsemanship, was bedeutet das eigentlich? Zusammengesetzt ist es aus den Begriffen „horse“, „man“ und „ship“, was wörtlich übersetzt „Pferd-Mensch-Eigenschaft“ heißt. Im Alltag hat sich eingebürgert, den pferdefreundlichen, respektvollen und kenntnisreichen Umgang mit dem Pferd als Horsemanship zu bezeichnen. Viele Pferdefreunde haben sich diesem Weg verschrieben und ihn zu ihrer Lebenseinstellung gemacht, so auch Bianca Gruber aus Österreich.
Seit Kindesbeinen an sitzt sie im Sattel – zunächst klassisch Englisch, seit einigen Jahren ist das Westernreiten ihr Zuhause. Hier kam Bianca auch mit dem Natural Horsemanship in Kontakt, was wie bereits erwähnt inzwischen zu ihrer Lebenseinstellung geworden ist. Für sie bedeutet dies ein Verständnis für die Natur des Pferdes zu entwickeln und ein fairer Umgang mit ihm, was letztendlich eine Kommunikation auf Augenhöhe ermöglicht und so eine tiefe Verbindung entstehen lässt.
Als Gründerin der BG Horsemanship Online Academy und Horsemanshiptrainerin mit Leib und Seele gibt Bianca ihr Wissen an interessierte Pferdefreunde weiter und zeigt ihnen, wie sie zu einer tiefgehenden Pferd-Mensch-Beziehung finden. Wie das genau aussieht, wollte ich von Bianca Gruber wissen und habe ihr daher einige für mich wichtige Fragen gestellt:
Bianca, Pferde sind einfach wunderbare Geschöpfe und sie faszinieren uns immer wieder aufs Neue. Wie bist du zu den Pferden gekommen und was fasziniert dich an ihnen?
Die Pferde sind schon immer an meiner Seite. Meine Eltern erzählen, dass ich, noch bevor ich selbst laufen konnte, schon zu jedem Pferd hinwollte. Mit 6 Jahren durfte ich endlich Reitstunden nehmen und so ging es immer weiter.
Was mich an den Pferden fasziniert, sind ihre gegensätzlichen Eigenschaften: Auf der einen Seite ihre unglaubliche Kraft, Stärke und Eleganz. Auf der anderen Seite ihr sanftes, hochsoziales Wesen. Dabei beeindruckt mich gerade ihre subtile Art zu kommunizieren immer wieder aufs Neue. Und wenn wir mit ihnen zusammen sind, erlauben sie ja auch uns Menschen, in diese Energien einzutauchen, Teil von ihnen zu werden – wenn wir dafür offen sind.
Pferde sind immer noch sehr stark von der Natur und den eigenen Instinkten geprägt. Was ist aus Deiner Sicht daher wichtig im Umgang mit Pferden?
Ich danke Dir von Herzen für diese Frage, denn genau darum geht es im Natural Horsemanship – Um den Respekt vor der Natur des Pferdes, sich vor allem anderen bewusst zu machen – Wer ist mein Pferd eigentlich? Was ist seine Natur? Was sind seine Bedürfnisse? Wie funktionieren seine Sinne? Wie lernt es? Wie spricht es?
Dieses Wissen ermöglicht es uns, die Welt mit Pferdeaugen zu sehen, uns in sie hineinversetzen und dadurch viel besser auf sie eingehen zu können, sei es in der Haltung, der Fütterung, aber auch in unserem Umgang mit ihnen.
Der Begriff Horsemanship ist in der Pferdewelt schon fast zu einem Modewort geworden. Was bedeutet Horsemanship für dich?
Es gibt ja verschiedene Definitionen von Horsemanship, wie beispielsweise die, die Du eingangs erwähnt hast: Horsemanship als fairen und respektvollen Umgang mit dem Pferd. Mir persönlich gefällt jene sehr gut, bei der der Begriff Horsemanship als Verbindung zwischen horse, human und relationship gesehen wird, also bei dem die Pferd-Mensch-Beziehung im Vordergrund steht. Für mein Gefühl ist es das, worum es geht:
Auf der einen Seite das Pferd. Darum, es in seiner Natur zu begreifen, wertzuschätzen und ihm eine dementsprechende Behandlung angedeihen zu lassen. Auf der anderen Seite uns Menschen. Was brauchen die Pferde von uns, damit eine gute Beziehung überhaupt erst möglich wird?
Ich glaube, neben dem Pferdewissen an sich, das es uns eben erlaubt, uns die Pferdebrille aufzusetzen, findet sich vieles davon im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung. Uns selbst kennen- und lieben lernen, Selbstvertrauen entwickeln, Ruhe ausstrahlen, im Hier und Jetzt sein, ins Fühlen und in die eigene Kraft kommen, an unseren Energien arbeiten, Körperbewusstsein entwickeln…
Dann, finde ich, geht es aber auch um das Erlernen von Techniken oder besser gesagt Bewegungsabläufen. Je mehr ich davon zur Auswahl habe, also je größer mein Repertoire ist, umso eher finde ich das, was für den jeweiligen Menschen, das jeweilige Pferd in der jeweiligen Situation passend ist. Und je routinierter ich das umsetzen kann, umso mehr Ruhe strahle ich aus. Gutes Horsemanship ist daher für mich ein Zusammenspiel von ganz viel Herz, aber eben auch Handwerk, wenn man es so nennen will.
So, und wenn sich jetzt Pferd und Mensch gegenüberstehen und in Interaktion treten, fangen sie an, miteinander zu sprechen. So bahnt sich eine Beziehung an. Das ist für mich der spannendste Bereich, ich bin ja selbst gelernte Sprachwissenschaftlerin und ziehe deshalb gerne den Vergleich zum Erlernen einer Fremdsprache. In diesem Fall ist das Pferdisch – schließlich können wir nicht von den Pferden erwarten, unsere Sprache zu lernen.
Und wie in menschlichen Beziehungen auch, steht und fällt alles mit der Kommunikation. Für mich ist es daher ein Muss, uns mit der Pferdesprache auseinanderzusetzen. Dazu gehört für mich auch, uns zu überlegen, wie wir unseren Pferden am Besten verständlich machen können, was wir von ihnen möchten. Und in jedem guten Dialog ist das ein Wechselspiel von Reden und Zuhören – gerade die Fähigkeit des Zuhörens macht für mich einen guten Pferdemenschen aus.
So jetzt habe ich aber ganz schön weit ausgeholt… Ich versuche es nochmal auf den Punkt zu bringen: Also, Horsemanship ist für mich die Fähigkeit, die Welt mit Pferdeaugen zu betrachten, sich in das Pferd hineinzufühlen, aber eben auch in sich selbst, mit dem Pferd zu kommunizieren, in der Absicht, eine vertrauensvolle, harmonische Beziehung zu schaffen. Und es ist in jedem Fall etwas, das nicht erst im Sattel oder am Reitplatz beginnt. Es ist ein way of life, der meiner Erfahrung nach irgendwann ganz automatisch auch auf alle anderen Lebensbereiche überschwappt.
Auch wenn wir niemals auslernen, so ist es doch ein schönes Gefühl, seinen eigenen Weg mit den Pferden gefunden zu haben. Wie würdest Du Deinen Weg, Deine Arbeit und letztendlich Deine Ziele mit den Pferden beschreiben?
Bei mir sind Pferde zwar schon immer Teil meines Lebens, als Trainerin gehöre ich aber zu den Neuen. Tatsächlich hat mich mein Pferd Skippy auf diesen Weg gebracht. Als er zu mir kam, war er im Reittraining übereifrig, auf emotionaler Ebene aber völlig unnahbar. Er zeigte deutlich, dass er darüber hinaus nichts mit mir zu tun haben wollte. Wir hatten schlichtweg ein Arbeitsverhältnis, und das gefiel mir überhaupt nicht, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Und so habe ich mich auf die Suche nach einem Weg gemacht, einen Zugang zu ihm zu finden.
Ich ging viel mit ihm spazieren, beobachtete ihn und die anderen Pferde, las alles, was ich über Pferdeverhalten, Horsemanship & Co. finden konnte, besuchte Bodenarbeitskurse, nahm Unterricht in Freiarbeit und probierte das Gelernte zusammen mit Skippy aus. Vieles davon passte für uns, anderes wiederum nicht, manches haben wir umstrukturiert oder weggelassen, anderes selbst hinzugefügt. Und so entwickelten wir step by step eine gemeinsame Sprache, unseren eigenen Zugang zum Horsemanship.
Skippy wurde bei diesem ganzen Prozess zu einem völlig anderen Pferd: Er begann sich zu öffnen, mit mir zu sprechen, mir zu vertrauen. Er war und ist mein größter Lehrmeister, mein Seelenpferd. Wir genießen jede Minute zusammen. Und so ging es dann weiter: Einigen gefiel, was ich tat, sie fragten mich um Rat, manche vertrauten mir ihre Pferde an. Mit jedem Menschen, jedem Pferd lernte ich dazu und nun stehe ich da, wo ich heute bin – als selbständige Horsemanshiptrainerin, zusammen mit meinem Co-Trainer Skippy, wer hätte das gedacht?
Ich kann mich noch erinnern, als vor Jahren in einem der Kurse, die ich besuchte, das Parelli-Zitat fiel: „Wenn Du das Halfter abnimmst, bleibt nur noch eines übrig: Die Wahrheit.“ Ich dachte damals nur: „Oh Gott, wenn ich das tue, macht er die Biege – diese Wahrheit will ich gar nicht wissen!“ Und heute gehört die Freiarbeit zu unseren Lieblingsbeschäftigungen.
Mein erklärtes Ziel ist es, so viele Menschen wie möglich zu unterstützen, zu einer solchen Beziehung mit ihren Pferden zu finden, einer Beziehung, die auf Vertrauen, Respekt und Harmonie basiert. Und wenn ich das kann, kann es jeder – jeder, der bereit ist, in den Spiegel zu schauen, sich weiterzuentwickeln und sein Herz in seine Hände zu legen. Im Sinne der Pferde.
Bekannte Horsemen bzw. Pferdemenschen dienen so manchem als Vorbild für die Ausbildung und den Umgang mit seinem Pferd. Wer in der Pferdewelt inspiriert Dich am meisten und vor allem weshalb?
Ich persönlich versuche so viel wie möglich aus erster Hand, also von den Pferden selbst zu lernen. Ich lasse mich aber auch sehr gerne von anderen Pferdemenschen inspirieren, schaue mir an, wie sie es machen. Ich wage zu behaupten, mir noch von jedem etwas mitgenommen zu haben. Dabei fühle ich mich bei den „Urvätern“ des Horsemanships wie Tom Dorrance, Ray Hunt, JC Dysli, Buck Brannaman, Alfonso Aguilar oder Mark Rashid zuhause, um nur einige von ihnen zu nennen. Sie waren unter den Ersten, die uns gelehrt haben, die Welt aus den Augen des Pferdes zu sehen und unser Verhalten daran anzupassen.
Dieses Wissen haben viele Trainer der jetzigen Generation aufgenommen, sie haben es durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse ergänzt und zum Teil genial weiterentwickelt. Es gibt aktuell so viele großartige Pferdemenschen und ich würde ihnen nicht gerecht, würde ich hier nur ein paar einzelne Namen nennen. Ich finde aber, dass es bei aller Inspiration unglaublich wichtig ist, authentisch zu bleiben, zu hinterfragen und hineinzufühlen, was für einen selbst stimmig ist, anstatt Techniken zu kopieren in der Hoffnung, dass es funktioniert. Jeder von uns hat seine eigene Art mit Pferden zu arbeiten und das ist gut so.
Haltung, Gesundheit und Ernährung sind wesentliche Punkte für das Wohlergehen eines jeden Pferdes. Was bedeutet für Dich artgerechte Pferdehaltung und wie sollte sie Deiner Meinung nach aussehen?
Eine artgerechte Pferdehaltung ist für mich jene, bei der wir der „Art“ des Pferdes, also seiner Natur und den damit einhergehenden Bedürfnissen am besten „gerecht“ werden. Wir haben es mit einem Herden-, Bewegungs- und Steppentier zu tun und genau das sollten wir berücksichtigen. Das heißt in kurzen Worten: Leben im Herdenverband oder zumindest mit viel Sozialkontakt, reichlich Bewegungsmöglichkeiten, ständiger Zugang zu qualitativ hochwertigem Heu und Gras, Wasser und einem Salzleckstein – und das alles am Besten rund um die Uhr.
Soviel zur Theorie. In der Praxis kommen dann noch die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Pferde dazu, die Interessen anderer Beteiligter im Fall eines Einstellbetriebs, die räumlichen Gegebenheiten und das, was wir als Menschen organisatorisch, finanziell und zeitlich stemmen können – also was de facto für jeden einzelnen überhaupt möglich ist. Und der bestmögliche Kompromiss aus all dem ist für mich das Ideal.
Da sind wir wieder bei der Beziehung, es muss schon für beide Seiten passen, auch wenn wir natürlich das Beste für unsere Pferde geben – die können es sich schließlich nicht aussuchen und ihnen gegenüber tragen wir die Verantwortung. Ich finde im Übrigen, ihr habt das auf eurer Ranch wunderbar umgesetzt – ein großes Kompliment an dieser Stelle!
Bianca, Du hast bereits so einiges auf die Beine gestellt, um Pferdefreunden Horsemanship näher zu bringen. Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?
Das stimmt, es hat sich so einiges getan in den letzten Jahren, wofür ich sehr dankbar bin. Und an Ideen für weitere Projekte mangelt es mir Gott sei Dank nie :). Ich liebe meine Arbeit und sehe mich selbst mehr als Pferdemenschentrainerin, denn als Pferdetrainerin. Die Pferde wissen ja ohnehin, wie es geht, wir Menschen dürfen es lernen. Und dabei ist es meine Mission, so viele Pferde und Menschen wie möglich zueinander zu bringen und sie auf ihrem Weg zu einer gemeinsamen Sprache zu unterstützen.
Das Internet schafft uns wunderbare Möglichkeiten, orts- und zeitunabhängig zu lehren und lernen, deshalb werde ich auf jeden Fall meine Facebookgruppe weiterbetreuen und das Onlineprogramm der Academy ergänzen: Zu dem bestehenden Horsemanship Basics-Kurs* sollen im kommenden Jahr noch ein Advanced, sowie ein Liberty-Kurs dazukommen. Und vielleicht baue ich irgendwann noch meine E-Books* zu einem Buch aus, Spaß würde es mir jedenfalls machen.
Dann ist es mir noch sehr wichtig, mich zusammen mit Skippy weiterzuentwickeln: Wir sind schon ein schönes Stück zusammen gegangen, haben aber noch viel vor und möchten immer weiterlernen. Und weit über meine persönlichen Ziele hinaus liegt mir die Zusammenarbeit engagierter Pferdemenschen am Herzen. Horsemanship im Sinne der Pferde soll zu einer Bewegung werden, eine Welle der Begeisterung auslösen, und das schaffen wir nur gemeinsam.
Welchen Rat möchtest Du zum Schluss anderen Pferdefreunden noch mit auf den Weg geben?
Ich denke, der beste Ratschlag, den ich euch geben kann, ist: Achtet auf die Augen eurer Pferde. Wenn sie leuchten, seid ihr auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank auch an dieser Stelle an alle, die das Interview gelesen haben und bei Dir, lieber Dietmar, für die Einladung. Es hat mich sehr gefreut.
Vielen Dank Bianca für Deine ausführlichen und inspirierenden Antworten und vor allen Dingen die Zeit, die Du mir geschenkt hast. Ich wünsche Dir viel Freude auf Deinem weiteren Weg mit den Pferden und ihren Menschen. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Welt für die Pferde jeden Tag ein klein wenig besser wird…
Wenn du noch mehr über Bianca Gruber und ihre wertvolle Arbeit erfahren möchtest, dann besuche sie doch einfach auf ihrer Website.
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