Horse-Assisted Stress Reduction
Kennst Du das Gefühl, eine Blockade oder Stress zu haben? Jeder hat die Erfahrung sicher schon einmal gemacht. Das kann mit einer anstehenden Präsentation oder Klausur zusammenhängen, vor der man sehr nervös ist oder Prüfungsangst verspürt, ein Besuch beim Zahnarzt, eine Situation mit einem Pferd (Durchgehen beim Ausreiten, Angst vor dem Springen…) oder die Aufregung vor einem Wettkampf bzw. Turnier. Viele würden etwas darum geben, entspannter mit solchen Situationen umgehen zu können. Prof. Dr. Kathrin Schütz hat dazu die HASR® – Methode (Horse-Assisted Stress Reduction) entwickelt und erklärt uns im Folgenden deren Wirkungsweise und gibt Tipps:
Bei Blockaden oder Stress kann es sich um Situationen handeln, die für uns nachvollziehbar sind („Bei der letzten Präsentation bin ich ganz rot geworden und meine Hände haben gezittert – hoffentlich passiert das nicht noch einmal!“), aber auch um solche, die für uns unlogisch erscheinen („Ich weiß eigentlich, dass ich ausreiten kann und wir beim Ausritt Spaß haben, und trotzdem habe ich so einen Kloß im Hals und habe ein wenig Angst, ich weiß gar nicht, warum.“). Auch Turnierreiter, die eigentlich ganz routiniert in Prüfungen starten, erleben dabei häufig große Aufregung und Unwohlsein, was teilweise als leistungshemmend empfunden wird.
Für unser direktes Umfeld ist es manchmal nicht nachvollziehbar, warum wir uns vermeintlich „so anstellen, obwohl das doch halb so wild ist“. Jeder hat jedoch seine Gründe, warum er sich gerade so verhält. Wenn wir diesen Stress mit den zugehörigen Blockaden spüren, können wir uns teilweise an bestimmte Situationen erinnern, die mit dem Stress zusammenhängen (könnten). Bei einem Sturz von einem Pferd oder einer brenzligen Situation beim Autofahren haben wir gedanklich direkt einen Bezug zu diesen Erlebnissen. Es gibt aber auch Ereignisse, an die wir uns nicht mehr erinnern können oder die wir für völlig unbedeutend halten, die uns das Leben jedoch im Alltag schwer machen können. Dann verstehen wir nicht, warum wir gerade Herzklopfen haben und uns negative Gedanken durch den Kopf schießen („Ich kann das einfach nicht, ich schaffe es nicht!“).
Positiver und negativer Stress
Stress muss nicht unbedingt schlecht sein, denn es gibt auch eine positive Form hiervon, den Eustress. Der Eustress kann uns anspornen etwas zu erreichen, ob beim Sport oder beim Planen einer Party. Er hilft uns, unsere Energie zu mobilisieren, er steigert unsere Leistungsfähigkeit und fühlt sich gut an. Meist hält er nur für einen kurzen Zeitraum an.
Der Stress, den wir verringern möchten und der sich nicht gut anfühlt, heißt Distress. Er blockiert uns in unserem Denken und Handeln und führt dazu, dass wir schneller gereizt sind. Wir fühlen uns überfordert, erschöpft und sind nicht mehr so leistungsfähig wie sonst. Es kann auch dazu kommen, dass wir mentale und physische Probleme bekommen. Auch Dinge, die wir zunächst mit Eustress verbinden, können zum Distress werden, ohne dass wir es direkt merken. Wichtig dabei ist noch, dass jeder von uns Stress individuell wahrnimmt und einige Personen belastbarer sind als andere. Was den Einen aus der Bahn wirft, muss den Anderen noch lange nicht stressen. Außerdem haben wir unterschiedliche Methoden mit dem Stress umzugehen, die besser (funktional, z. B. Atemtechniken, Achtsamkeitsübungen) oder schlechter (dysfunktional, z. B. Rauchen) für uns sind.
Gerade Turnierreiter haben in einer unserer Studien angegeben, Distress und Angstgefühle kurz vor oder während der Prüfungen zu erleben. Hier wurde allerdings auch gesagt, dass ein bisschen Stress dazu gehört und ebenso motivierend / aktivierend sein kann (Eustress).
Die HASR®-Methode
Bei Distress kann die Horse-Assisted Stress Reduction (HASR®) helfen, genau diese Blockaden aufzulösen und den Stress erheblich zu verringern. Die Methode richtet sich nicht nur an Reiter, sondern an alle, die entspannter an gewisse Situationen herangehen möchten. Kurz zusammengefasst ist HASR® ist eine Methode zur Stressreduktion und Beseitigung von Blockaden mit der Unterstützung eines Pferdes. Genauer gesagt handelt es sich um eine Kombination aus dem Herausarbeiten der stressauslösenden Blockaden und dem Auflösen dieser Blockaden mittels schneller Blickbewegungen oder dem Klopfen von Akupressur-Punkten sowie pferdegestützter Arbeit. Die negativen Affirmationen des Klienten werden fokussiert sowie im Anschluss positive Affirmationen (bekannt auch als positive Glaubenssätze) herausgearbeitet und verinnerlicht.
Unterstützt wird die Methode durch den wissenschaftlich fundierten Myostatiktest (Muskeltest), um die negativen, stressauslösenden und die positiven Faktoren zu ermitteln und den Erfolg der Methode sicherzustellen. Ergänzend werden die Imaginationsarbeit (Vorstellungskraft) und Embodimentansätze (Wirkung unserer Körperhaltung auf die Gedanken und umgekehrt) eingesetzt. Es handelt sich um eine Integration verschiedener wissenschaftlich fundierter Instrumente, die – unter Einbezug des Mediums Pferd – höchst wirksam sind.
Pferde werden hier eingesetzt, da sie als hochsensible Tiere mit ihrem Wahrnehmungsvermögen und feinsinnigen Kommunikationsverhalten menschliche Emotionen erkennen und diese spiegeln können, wie auch im „klassischen“ pferdegestützten Coaching. Die Methode ist sehr effizient und man kommt meist auch schnell an die Ursachen der Stressoren / Blockaden. Häufig sind die Themen nach wenigen Sitzungen bearbeitet. Der Coachee merkt nicht nur direkt vor Ort, wie gut / leicht / entspannt er sich fühlt, sondern lernt auch Techniken, die er zuhause anwenden kann, um die Themen zu festigen und die Methoden vor den stressauslösenden Situationen eigenständig zu nutzen. So kann man selbständig an der Stressbewältigung weiter arbeiten und erlebt, dass man seine Gedanken und sein Handeln aus eigener Kraft verändern kann.
Die besonderen Fähigkeiten von Pferden
Pferde haben nicht nur beim HASR®-Coaching einen besonderen Stellenwert. Sie sind Flucht- und Beutetiere und analysieren daher genau ihre Umgebung. Sie achten vor allem auf feine, nonverbale Signale und die Körpersprache ihres Gegenübers. Dabei agieren sie im aktuellen Moment, auch im Kontakt mit Menschen. Man geht davon aus, dass sie dabei offen und ehrlich sind und nicht dazu in Lage sind zu lügen. Sie sind daher sehr gut in nonverbaler Kommunikation und im Lesen der Körpersprache. Aus diesen Gründen werden Pferde in verschiedenen Interventionen eingesetzt (Psychotherapie, Coaching, Reittherapie etc.) und auch beim HASR®-Coaching.
Sie spüren menschliche Emotionen und reagieren direkt auf diese. Dabei können sie uns u. a. helfen, den Glauben an uns selbst zu stärken (Selbstwirksamkeitserwartung), unsere Emotionen besser zu verstehen und unter Kontrolle zu haben und uns mental zu stärken. Über die Reaktionen der Pferde können erfahrene Coaches auf Themen eingehen und die Klienten unterstützen diese zu bearbeiten. Wie positiv der Einsatz von Pferden in Interventionen sein kann, wurde bereits vielfach untersucht und wissenschaftlich nachgewiesen.
Tipps für Zuhause
Auch ohne ein HASR®-Coaching kann man einige Techniken selbst anwenden, um den eigenen Stress zu reduzieren. Achtsamkeitsübungen können hier hilfreich sein – die klappen auch gut, wenn man dabei neben einem Pferd steht. Es gibt beispielsweise Bodyscan-Übungen, bei denen man seine Aufmerksamkeit auf verschiedene Körperbereiche legt und so seine stressbehafteten Gedanken loslassen kann. Dazu gibt es einige kostenlose Vorlagen im Internet (z. B. auf den Homepages von Krankenkassen), die teilweise auch vorgelesen werden, sodass man sich komplett auf sich selbst konzentrieren kann (mit und ohne Pferd).
Ein Ausflug in die Natur oder bei uns Reitern in den Stall – mal ganz ohne Handy und Ablenkung – kann uns auch helfen zu entspannen. Dabei kann man für mehrere Minuten ganz bewusst die Natur mit allen Sinnen wahrnehmen oder sein Pferd putzen und fühlen, wie weich das Fell ist und dabei auch mal die Augen schließen. Wo hat das Pferd kleine Wirbel oder Besonderheiten, die man sich vorher noch nie so genau angeschaut hat? Wonach riecht mein Pferd eigentlich? An welchen Stellen mag mein Pferd es besonders gerne, wenn ich dort kraule?
Atemtechniken können auch eingesetzt werden, um sich zu entspannen. Hierzu gibt es ebenfalls viele Informationen im Internet, in Büchern und Kursen. Eine einfache Technik kann man direkt ausprobieren, indem man durch die Nase einatmet und dabei „1-2“ zählt. Dann wartet man kurz, hält die Luft (kurz!) an und atmet durch den Mund aus. Dabei zählt man „1-2-3-4“. Das wiederholt man einige Male und merkt direkt, wie man sich nach und nach entspannt.
Es kann auch sehr hilfreich sein, die Stress auslösende Situation einmal genauer zu analysieren und sich zu überlegen, was mit dem Stresserleben eigentlich genau zusammen hängt. Unter welchen Bedingungen ist der Stress schlimmer, unter welchen weniger schlimm? Was hilft einem, damit man weniger Stress erlebt (eine bestimmte Person, ein Tier, Spaß auf der Arbeit, eine kurze Pause mit einem leckeren Kaffee…)? Danach kann man sich vorstellen, wie die Wunschsituation sein könnte (mehrere Minuten lang), auch wenn man das anfangs für blödsinnig hält und sich der eigene Verstand einschaltet und in Frage stellt, was das bringen soll. Man kann es einfach mal ausprobieren. Hier geht es bei der Wunschsituation darum, sich seine eigenen Ressourcen bewusst zu machen und gedanklich durchspielen, wie man diese positiv einsetzt. Dann kann man sich Schritte überlegen, wie man nach und nach zur Wunschsituation kommen kann und welche Ressourcen man hierfür einsetzen kann, damit es leichter geht.
Wie gehst Du bei Stresssituationen vor? Hast Du hier schon einen Weg für dich gefunden?
Über Prof. Dr. Kathrin Schütz
Kathrin Schütz ist begeisterte Reiterin und Pferde- und Hofbesitzerin, Wirtschaftspsychologin und Professorin mit mehrjähriger Erfahrung in der Lehre und Forschung sowie in der Praxis als Ausbilderin und Coach. Mehr über ihre Interessen und ihre Veröffentlichungen rund um Pferde, Forschung & Psychologie findest du auf ihrer persönlichen Homepage. Auf den Webseiten zum Pferdecoaching und Pferdecoaching Institut erfährst du mehr über ihre Coaching-Seminare und Ausbildungen mit Pferden als Co-Trainer.
Verwendete Quellen: Gastbeitrag von Prof. Dr. Kathrin Schütz