FOR THE LOVE OF THE HORSE
Wer sich für Horsemanship und artgerechten Umgang mit Pferden interessiert, der kommt an Mark Rashid und seinen Büchern nicht vorbei. Der amerikanische Horseman ist für unzählige Pferdefreunde Inspiration und Vorbild zugleich, so auch für Jürgen Grande und sein „Minimal Horsemanship“. Nachfolgend hat er sich einmal näher mit dem neusten Buch “For the Love of the Horse“ von Mark beschäftigt und teilt uns hier seine Eindrücke mit:
Marks Bücher* sind seit vielen Jahren herausragende Inspirationsquellen, wenn es um die Beziehung zu Pferden geht. Wer schon einmal etwas von ihm gelesen hat weiß jedoch, dass seine zahlreichen Bücher keinesfalls Betriebsanleitungen sind, wie beim Training oder Reiten vorgegangen werden soll. Vielmehr sind sie eine gelungene Mischung aus Fallbeispielen, Anekdoten aus der langjährigen Praxis und philosophischen sowie wissenschaftlichen Einwürfen. Die Leser müssen sich selbst zurecht finden und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen. Es steht also oft mehr zwischen den Zeilen, und es empfiehlt sich, Marks Bücher öfters zu lesen, und das in größeren Zeitabständen. Auch das neueste Werk aus dem Hause Rashid macht da keine Ausnahme.
Der zugegeben etwas kitschige Titel sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier ergiebige Substanz zwischen den Buchdeckeln zu finden ist. Der Untertitel “Looking Back, Looking Forward“ gibt ziemlich genau wieder, was uns erwartet:
Gestern und heute
Marks Horsemanship ruht hauptsächlich auf drei Säulen – in historischer Reihenfolge: der „alte Mann“, Aikido sowie Biologie.
Marks erster Mentor, der berühmte “old man“ (Walter Pruitt), zieht sich auch hier wie ein roter Faden durch die Geschichte. Hier erlernt der Grünschnabel die Grundlagen des intuitiven Verstehens von Pferden. Walter taucht auch in den anderen Büchern Rashids immer wieder auf und muss deshalb hier nicht weiter gewürdigt werden.
Die zweite bedeutende Sache, die mit Marks Horsemanship inzwischen untrennbar verbunden ist, hat auf den ersten Blick scheinbar nichts damit zu tun, ist vielleicht für die meisten erst einmal sogar eher befremdlich: Aikido, eine spezielle Form japanischer Kampfkunst. Genauer betrachtet unterscheidet sie sich deutlich von anderen Formen, denn sie ist rein defensiv und geistig unterfüttert, was sie für den Umgang mit Pferden durchaus tauglich macht. Es empfiehlt sich hier, ein paar von Marks früheren Büchern zu lesen (siehe weiter unten). Mark hat inzwischen einen hochgradigen Schwarzen Gürtel inne und speziell für seine Pferdekursteilnehmer „Aibado“ entwickelt, einfach gesagt: Aikido für Reiter. Ein wirklich originelles und offenbar sehr nützliches Konzept.
Abstraktionsvermögen
Als neuester Aspekt kommen neurobiologische Erkenntnisse hinzu, die sich vordergründig mit den Unterschieden der Gehirne von Mensch und Pferd beschäftigen und damit Trainingsmethoden auf den Prüfstand stellen. Ein problematischer Begriff, der im Horsemanship gerne verwendet wird, ist „Respekt“. Weitverbreitet ist die Ansicht, dieser müsse vom Pferd eingefordert werden, anderweitig sei es unbotmäßig. Schon in seinem Buch “Finding the Missed Path“ hat Mark diesem Phänomen ein ganzes Kapitel gewidmet und ist zu dem Schluss gekommen, dass Pferde so etwas wie Respekt oder Respektlosigkeit im menschlichen Sinne gar nicht empfinden können. Heute untermauert Mark diese Erkenntnis mit neuen wissenschaftlichen Ergebnissen:
“I want to reiterate here that part of my focus was to find out if horses were even capable of understanding the concept of respect, and the answer I found was no, they aren’t. The reason for this is simple. At the time I first began my research, it was believed that horses didn’t possess a neocortex. They do. New information resulting from today’s sophisticated neuroimaging seems to show the horse does have some neocortex and some prefrontal cortex. But according to neuroscientist and horse brain researcher Dr. Stephen Peters (…) these are nowhere as large, complex, or as evolved as humans (…) For context, the neocortex is the part of the brain that, in humans, is involved in higher functions such as language, spatial reasoning, abstract thinking, sensory perception, organization, extrapolation, categorization, conscious thought, and more. It is the part of the brain that allows us to conjure up ideas such as right and wrong, good and bad, respect and disrespect, and countless other notions a horse has no chance of understanding (…) The recent discovery that horses seem to possess some semblance of a neocortex and prefrontal cortex does not change this fact.“
[For the Love of the Horse, S.108]
Das Pferd mit menschlichem (abstraktem) Verstand zu dirigieren, dürfte somit ein eitles Unterfangen sein. Mark zieht daraus einige wichtige Schlussfolgerungen und zeigt auf, welche Fehler bei vielen Ausbildern und deren Schüler auftreten. Offensichtlich haben Trainingsmethoden deutlich mehr Erfolg, die die Funktionsweise des autonomen Nervensystems berücksichtigen, insbesondere das Wissen darüber, wo die Grenze zwischen sympathischem und parasympathischem Anteil verläuft. Letzterer fördert nachhaltig die Lernfähigkeit des Pferdes, während ersterer nicht nur die Aufnahmefähigkeit behindert, sondern sogar bereits Erlerntes wieder zunichte machen kann.
Verhalten
In diesem Zusammenhang widmet Mark ein komplettes Kapitel dem Thema Inzucht. Diese bringt eine Anzahl genetischer Abweichungen hervor, die je nach individueller Situation auf epigenetischer Ebene mehr oder minder ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten bei Pferden erzeugt, von harmlosen Schrullen bis hin zu permanenter, gefährlicher Aggressivität. Der Inzuchtfaktor scheint ein nicht zu vernachlässigendes Element dafür zu sein, welche Trainingsqualitäten ein Pferd aufweist. Hier eröffnet sich offenbar ein bislang eher vernachlässigtes Forschungsfeld.
Des weiteren beschäftigt sich Mark mit dem Komplex Stress, Cortisol und Stressabbau und kommt zu dem Schluss, dass viele (harmlose) „Unarten“ des Pferdes nichts anderes sind als individuelle Verhaltensweisen, die das Cortisol-Level erniedrigen und somit Stress abbauen. Diese „Unarten“ zu bekämpfen sei nicht nur meistens erfolglos, sondern sogar schädlich.
Connection
Ein weiterer dicker Brocken ist das Kapitel “Connection“, was hier wohl am besten mit Verbundenheit (mit dem Pferd) übersetzt sein mag. Gutes Training ist zu deren Erlangung nur die halbe Miete. Mark stellt ein paar weitere Voraussetzungen ins Licht. Zum einen ist da die Selbstverbundenheit des Menschen. Ein guter Horseman sollte zunächst mit sich selbst im reinen sein, also zentriert, ausgeglichen und bodenständig. Darüberhinaus sollten die äußeren (mechanischen) Hilfen, egal welcher Art, an Bedeutung verlieren und der inneren Vorstellung weichen, die mit dem Pferd in Verbindung tritt, welche wiederum auf gegenseitigem Austausch beruht.
Mark spricht hier von “feel“, was mich übrigens sehr an Bill Dorrance erinnert. Dieses Konzept ist nicht neu, wird aber von vielen Reitern komplett ignoriert oder hintangestellt. Schuld daran ist die weitverbreitete Suche nach der richtigen „Technik“, also letztlich eine mechanistische Auffassung des Reitens, wie sie Mark von klein auf erst gar nicht kennengelernt hat. Für ihn stand und steht immer Weichheit im Vordergrund, die jedoch weniger von außen als vielmehr von innen kommt – bei beiden Beteiligten.
Fazit
“For the Love of the Horse“ ist Marks Bilanz der letzten dreißig Jahre, seit Erscheinen des ersten Buchs. Es könnte vielleicht sein letztes sein, denn alles was sein Horsemanship ausmacht, ist eigentlich gesagt. Mark ist kein Missionar. Er war und ist nach wie vor keiner, der mit dickem Moralfinger auf andere zeigt. Das macht ihn nicht nur sympathisch, sondern fördert auch die Bereitschaft, ihm zuzuhören. Zurückhaltung ist ein Zeichen von Reife, welche so manchen Leuten in der eitlen Reiterwelt durchaus gut zu Gesicht stünde.
Für Einsteiger ist dieses Buch sehr gut geignet. Wer frühere Werke schon kennt, kann übrigens getrost die ersten 80 Seiten überspringen und in Kapitel sieben einsteigen. Ab hier wird es allerdings auch für Kenner wieder interessant. Am Schluss des Buches gibt es übrigens eine etwas abstruse Gespenstergeschichte, aber mehr verrate ich nicht.
Sollte danach noch Interesse bestehen, weiter zu schmökern, dann empfehle ich erst einmal “Horsemanship Through Life“, “Finding the Missed Path“ sowie “Nature In Horsemanship“. Wichtig sei dabei zu erwähnen, dass alles in einem relativ einfachem und leicht verständlichem Amerikanisch verfasst ist.
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