KAMPF UM DIE HUFE
Seit einigen Jahren ist ein mehr oder weniger heftiger Streit bezüglich der Hufgesundheit des Pferdes entbrannt, der sowohl Praktizierende als auch Pferdebesitzer in zwei Lager spaltet, nämlich in Beschlagbefürworter und Beschlaggegner. Intuitives und pragmatisches Wissen über Pferdehufe gibt es ja schon ziemlich lange, jedoch deren wissenschaftliche Erforschung im natürlichen Zustand ist aber erstaunlich jung, es stehen da noch einige Erkenntnisse aus.
Erst seit ein paar Jahrzehnten gibt es Profis und kompetente Amateure, die einen Beschlag aus wissenschaftlichen Erwägungen heraus grundsätzlich ablehnen, ihre Thesen veröffentlichen und in die Barhuf-Praxis umsetzen. Die Pioniere und aktuellen Anhänger dieser Bewegung sind übrigens fast durchweg ehemalige Hufschmiede oder Veterinäre.
Aber wie kann es nun sein, dass sich Leute, die ja nur das Beste für das Tier wollen, sich so feindselig gegenüberstehen? Die aktuellen Auseinandersetzungen der verschiedenen Richtungen, auch innerhalb der Hauptlager, sind häufig mehr durch gnadenlose Auslöschungsphantasien geprägt als durch Wissenschaft und nüchterne Argumentation. Ein klarer Kopf würde hier helfen.
Darum hat sich Jürgen Grande von Minimal Horsemanship sehr ausführlich mit dem Thema befasst und taucht mit uns ein in die Geschichte rund um den Pferdehuf, die alles andere als geradlinig verlaufen ist. Er selbst ist zwar ein klarer Anhänger der Barhuffraktion, betont aber ausdrücklich, dass er mit seinen Ausführungen nicht unnötig Öl ins Feuer gießen und auch niemanden persönlich angreifen möchte. Hier also seine sehr ausführliche Bestandsaufnahme und persönliche Wertung, für die es lohnt, sich einmal Zeit zu nehmen: (auf Grund des Umfangs kann diese auch hier als PDF heruntergeladen werden)
Es geschieht etwas Unerhörtes
Ausgerechnet in einem renommierten Hufschmiedefachmagazin äußert sich ein ebenso renommierter Hufschmied folgendermaßen: “Of the 122 million equines found around the world, no more than 10 percent are clinically sound. Some 10 percent (12.2 million) are clinically, completely and unusably lame. The remaining 80 percent (97.6 million) of these equines are somewhat lame … and could not pass a soundness evaluation or test.“ [American Farriers Journal, Nov./2000, v. 26, #6, p. 5]
„Von den 122 Millionen Pferden weltweit sind nicht mehr als 10 Prozent klinisch gesund. Ungefähr 10 Prozent (12,2 Millionen) sind durchwegs klinisch lahm und zu nichts zu gebrauchen. Die übrigen 80 Prozent (97,6 Millionen) der Pferde sind in irgend einer Form lahm … und würden keinen Gesundheitstest bestehen.“ [Übersetzung von mir]
Der das hier schreibt, ist nicht irgendwer. Es ist Walt Taylor. Mitbegründer der American Farriers Association, Mitglied der World Farriers Association und Mitarbeiter beim Programm Working Together for Equines. Wohlgemerkt, er redet hier nicht von Krankheit im allgemeinen, sondern ausschließlich von Lahmheit. Wenn wir jetzt großzügig alle Fälle wegrechnen, die auf ungünstige Konfigurationen in Gelenken, Muskelapparat, Zähnen und Nerven zurückzuführen sind, dann bleibt eine frappierend hohe Menge an Lahmheit übrig, die direkt vom Huf kommt, was in der Tat der Standard ist, gefürchtet von Freizeitreitern und Profs gleichermaßen. Bevor hier aber jetzt wie üblich die Erbsenzähler ihre Stirn in Falten werfen, sollten wir bei Taylors Statement die Kernaussage wiederholen: “Of the 122 million equines found around the world, no more than 10 percent are clinically sound.“ Nicht mehr als zehn Prozent. Wie geht das?
Der Hufbeschlag
Hufbeschlag ist seit langem selbstverständlich. Er soll das Pferd schützen und gesund halten. Das gilt als abgemachte Sache und wird selten hinterfragt, am allerwenigsten von Pferdebesitzern. Wenn ich mir dagegen die gängige Fachliteratur des Hufschmiedehandwerks anschaue, gewinne ich ein völlig anderes Bild. Hier trifft man fachlich auf Uneinigkeit, Selbstzweifel, Unsicherheit und Mangel an Selbstkritik. Dafür steht der betriebswirtschaftliche Erfolg im Vordergrund.
Egal welche Quelle man studiert, eins ist sicher: Es gibt keine einheitliche Auffassung über den richtigen Hufbeschlag. Im Gegenteil, die Wirrnis ist heute in etwa so groß wie ehedem. Das ist Faktum, was auch jeder ernstzunehmende Lehrschmied unumwunden zugibt. Nur ein Beispiel: 2014 fand eine Fortbildung des EDHV (Erster Deutscher Hufbeschlagschmiede Verband e.V.) statt. Der Hufbeschlag-Lehrschmied Jan Gerd Rhenius referierte dabei über den „Vergleich unterschiedlicher heutiger Hufzubereitungstheorien“. Er erwähnt immerhin ein halbes Dutzend davon. Die Hufzubereitung, also die Vorbereitung des Hufes zum Beschlag, gilt gewissermaßen als eine der Königsdisziplinen der Hufbeschlagschmiedekunst. Und genau hier finden wir die größte Uneinigkeit? Gleiches gilt für die Frage nach dem richtigen Hufeisen und eigentlich für alle anderen Fragen, die um das Thema Beschlag kreisen.
Die Wissenschaft
Eine ernstzunehmende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Hufbeschlag gibt es erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Machen wir doch einfach mal ein paar Stichproben querbeet durch die einschlägige Fachliteratur. Ein gewisser Daniel Gottfried Schreber, Kommissionsrat und Doktor der Rechte rügt zunächst die Unvollkommenheit der verterinärmedizinischen Disziplin: „Wir haben es in der Pathologie unserer zahmen zur Wirthschaft unentbehrlichen Thiere und vornemlich der Pferde, ohnerachtet der vielen Schriften, die davon handeln, noch lange nicht so weit gebracht, daß wir es dabey bewenden lassen könnten … es wäre eine sehr heilsame Sache, wenn sich entweder die Aerzte auf die Viehcuren und deren genugsame Kenntniß mit legten, oder wenn man ein ganz besonderes Studium daraus machte, so jedoch kunstmäßig erlernet werden müste. In der politischen Betrachtung ist an Rindvieh, Pferden, Schaafen, u.s.w. beynahe eben so viel, als an Menschen gelegen, und dieser Artickel würdig genug, weiter überlegt und ausgeführet zu werden.“ (Daniel Gottfried Schreber, Neue Entdeckungen an Pferden, zum Behuf der Armeen, Landwirthe; Churschmiede etc., Halle 1759) [Hervorhebung von mir]
Derselbe lässt dann einen in Frankreich zu jener Zeit angesagten Hufspezialisten, Étienne Guillaume Lafosse, ausführlich zu Wort kommen: „Alle Völker haben ihre Weise [des Hufbeschlags; JG] für die beste gehalten, und glauben es annoch. Keines würde die seinige mit einer anderen vertauschen. Die Fremden, welche etwas auf Pferde halten, und hieher kommen, beweisen es, indem fast alle einen Schmid aus ihrem Lande mitbringen, weil sie denken, daß ihre Art zu beschlagen besser, als die unsrige sey: wir aber vergelten ihnen das Mißtrauen gegen unsere Schmiede damit, daß wir gleichfalls auf unsern Reisen unsere Schmiede mitnehmen … Das bisherige Beschlagen der Pferde ist in keinem Lande besser, als in dem anderen ausgesonnen, und allenthalben mehr ein Werk der Fantasie oder Gewohnheit als der Ueberlegung.“ (Daniel Gottfried Schreber, Neue Entdeckungen an Pferden, zum Behuf der Armeen, Landwirthe; Churschmiede etc., Halle 1759 / Übersetzung des Textes von Lafosse durch Schreber)
Geschichte
Seit mehr als tausend Jahren werden also Pferde systematisch beschlagen, und trotzdem hat sich offenbar keine einheitliche Methode durchgesetzt, die als richtig angesehen wird? Doch weiter mit Lafosse, der ausführlich mit den diversen zeitgenössischen Vertretern der Hufschmiedezunft ins Gericht geht und dabei ganz nebenbei Dinge sagt, die genauso von heutigen Barhufspezialisten formuliert sein könnten. Hier ein ausführlichere Textstelle:
„Wir wollen aber die Sache weiter verfolgen. Welche Gefahr hat nicht ein Pferd auszustehen, wenn ihm durch allzuvieles Auswirken der Huf fast gar ausgeschnitten wird? es darf nur auf ein Steingen, auf ein Stück Glas oder auf einen Nagel treten, so dringet solches leicht in die Fleischsohle ein, und das Pferd muß davon lange Zeit oder wohl gar beständig lahm bleiben. Wenn ein Pferd, das frisch ausgewirket, und darauf beschlagen ist, das Eisen bald wieder verliehret, wie solches gar ofte geschiehet, so wird es keine hundert Schritte weiter gehen ohne zu hinken, weil es, da solchergestalt die Sohle hohle ist, nur auf der Wand des Hufes gehen kann, welche, da sie von der Hornsohle keine Befestigung hat, sich wegen der Schwere des Körpers, den sie träget, bald abnutzen und bersten muß, und das Pferd wird desto geschwinder lahm werden, je mehr es unterwegs auf harte Materien treten muß.
Alles dieses wiederfähret einem solchen Pferde nicht, welchem die Sohle in aller ihrer Stärke ist gelassen worden. Wenn das Hufeisen an einem unausgewirkten Fusse abspringet, so kommt die Hornsohle nebst dem Strahle auf die Erde zu stehen, und die Wand wird dadurch wider die Schwere des Körpers beschützet; dergestalt, daß das Pferd barfus seinen Weg gesund und unbeschädiget fortsetzen kann. Es ist gewiß, daß alle Pferde, ausser denen, welche vollhüfg, und welchen Hufeisen zur Konservation der Fußsohle nöthig sind, der Hufeisen gänzlich entübriget seyn könnten … wir sehen es ja an unseren Bauerpferden, die täglich im Felde arbeiten, ohne des Beschlagens zu bedürfen. Seit dem wir aber so viele Sorge und Kunst anwenden, ihnen den Huf, so gar, wie man saget, bis ans Leben auszuschneiden, und eine schöne gleiche und recht symmetrische Gabel (Strahl) zu machen, welches in Frankreich gut und zierlich gearbeitet heisset, so sind die Hufeisen unumgänglich nöthig geworden … Ich rathe demnach allen, welchen ihre Pferde lieb sind, sie mit dieser vermeinten Schönheit und Vollkommenheit, so viel sie können, zu verschonen.
… Noch von einem Umstande müssen wir uns überzeugen, welcher darin bestehet, daß ein Pferd, bey welchen der Strahl des Hufs den Boden nicht erreichet, sehr selten recht frey fortgehet, und geschwinder ermüdet. Denn der Strahl ist der einzige Punct, auf welchen die Sehne ruhet und sich stützen muß. Wenn er nun dadurch, daß er aufgeschnitten wird, den Boden nicht mehr erreichen kann, so muß die Sehne sich übermäßig ausdehnen, weil das Kronbein auf die Nuß drücket … Weil dieser Druck mit jedem Schritte, den das Pferd thut, wiederholet wird, so wird es davon ermüdet, und eine Entzündung daselbst verursachet: daher oft Gallen, Verdickungen und Anschwellen der Sehnen, zumahl wenn es eine weite Reise also thun, oder stark hat laufen müssen, davon entstehen.
Diese Zufälle rühren nicht sowohl von der Länge eines Marsches, den ein Pferd gethan, wie man insgemein glaubet, sondern von der unrechten Anwendung des Auswirkens der Sohle her. Die gewöhnliche Art zu beschlagen ziehet noch eine andere Beschwerlichkeit nach sich … , daß sich nehmlich Sand und Kies zwischen die Fußsohle und das Eisen, desgleichen zwischen die Ferse und das Eisen setzet, … und verursachet ein Drücken, Entzündungen, auch öfters Eiter, das den Knorpel angreift, und es erfolget im letzteren Falle, endlich die Durchfäule …
Man hat daher wohl zu merken, daß, jemehr einem Pferde die Füsse ausgewirket werden, destomehr Unfällen dasselbe unterworfen wird. Man beraubet das Pferd erstlich seines Schutzes, damit die Natur den Fuß gegen harte und spitzige Materien darauf es treten kann, versichert hat; sodann auch des wichtigsten Vortheils, sowohl für das Pferd, als für den Reuter selbst. Denn wenn die Sohle gar nicht ausgeschnitten, und nur ein solches Eisen aufgeschlagen wird, dadurch der Horn conserviret werden kann, so wird das Pferd, sowohl im Winter auf dem Eise, als im Sommer auf glatten Boden nicht mehr ausglitschen, wie ich nunmehro zeigen werde. Wenn nehmlich:
1) das Pferd auf dem Strahlen und zum Theil auf dem Ballen gehen muß, so kann sich der Strahl an der Erde oder auf den Steinen darauf er zu stehen kommt, reiben, und durch das Gewicht des Körpers in die kleinen Tiefen und Risse, in welche er tritt, eindrücken.
2) Weil er auch biegsam ist, so drücken sich die Erhöhungen, darauf er trift, gleichsam darinne ab: wenn aber der Fuß auf mehreren Theilen den Körper träget, da eines das andere dadurch, daß mehr Berührungspuncte werden, erleichtert, so kann das Pferd fester stehen und besser gehen. Ich möchte sagen, daß es auch mehr Empfindung von seinem Gange hätte, weil der weiche Strahl sich mit der Fleischsohle, diese aber wiederum mit der Sehne verbindet. Diese Empfindung will ich mit derjenigen eben nicht vergleichen, die wir fühlen, wenn wir auf blossen Füssen gehen; das Pferd fühlet aber doch so viel, daß es weiß, wie viel Kraft es anwenden soll, seinen Körper zu stützen, und im Gleichgewichte zu erhalten, damit es weder fallen, noch sich verstauchen, oder fehl treten könne…
Das Auswirken des Horns aber kann nicht anders veranlasset worden seyn, als in dem Falle, da der Horn ungerade gewesen, folglich das Hufeisen nicht überall gleichförmig tragen, und daher nicht feste halten können. Hierinn hat man die Ursache des Auswirkens zu suchen; andergestalt aber widerspricht es dem Endzwecke, und ist ungereimt …
Ich will von diesem verderblichen Gebrauche nichts mehr sagen, als, daß die meisten Schmiede, den Huf desto besser zu putzen, bis aufs Blut einschneiden, und darauf das Blut zu stillen, den Ort brennen. Wenn diese Operation geschehen ist, so kommt das Pferd wieder hinkend in den Stall. Der Herr verlanget die Ursache davon zu wissen, aber vergeblich: denn der Schmid und der Reitknecht sind ebenso unwissend, oder halten es vielmehr mit einander, daß keiner den anderen verrathen will.
Ich stelle dahin, wenn ein Pferd in einem Tage das Eisen zehenmal abrisse, ob nicht alsdenn der Fuß auch zehenmal würde ausgeschnitten werden? So sehr ist diese Gewohnheit eingewurzelt, und wird von den meisten Schmieden für unvermeidlich gehalten. Ich rede hier nicht wider geschickte Schmiede, für die ich Achtung habe, und denen ich Gerechtigkeit widerfahren lasse: ich schuldige nur die Unwissenheit an, da man aus einer im Grunde simpeln, leichten und nützlichen Sache, eine bey dem Gebrauche schädliche, und bey der Ausübung blos auf die Zierlichkeit hinauslauffende Arbeit gemacht hat.
Nach allen vorher angezogenen Gründen ist unser itziges Beschläge und die Art es zu appliciren, den Pferden so wenig nützlich, daß es ihnen vielmehr zum Schaden gereichet, sie ermüdet, wankend und ungeschickt macht, auch allerhand Zufällen, als Verrenkungen, Geschwüren, Compreßionen der Sohle, Entzündung, Durchfäulung über der Köthe, Gallen, Verdickung und Aufschwellung der Sehnen u.s.w. exponiret: durch eine neue Art von Beschläge aber, worauf sie besser gehen und welches ihre Bewegungen erleichtert, werden sie zugleich von der Menge der angeführten und anderer Zufälle bewahret werden. Die Simplicität dieses Beschläges und die leichte Art, dasselbe zur Uebung zu bringen, verschaffet ihm alle diese Vortheile.
Ich muß mich wundern, daß man nicht eher darauf gefallen ist, und kann mich kaum überreden, daß ich der erste Erfinder davon sey. Ich wollte wohl viel lieber glauben, daß es ein blosser Abriss von derjenigen Art zu beschlagen sey, die der erste Künstler ausgeübet haben müsse, welcher sich hat einfallen lassen, den Pferden Eisen aufzulegen.Trift diese meine Muthmassung ein, so beweiset das, daß diese Art nachher wieder vergessen worden, nichts wider ihre Vollkommenheit; weil das Gute so wenig, als das Böse, sich in beständigen Andenken bey uns erhalten kann. Man wird auch aller Dinge überdrüßig, und vielleicht hat es einer dem andern vorzuthun gesuchet, und daher Hufeisen von unterschiedenen Gestalten, Länge und Dicke ausgedacht, jeder Art aber besondere Eigenschaften zugeschrieben.
Der Hauffe vom Volk, welcher mehr glaubet, als er von der Sache verstehet, hat sich leicht davon überreden lassen: dadurch sind allzu lange, allzu dicke, mit Stollen versehene, hernach unter den Fersen stärkere, endlich dünne Hufeisen aufgekommen. Man kann sich vorstellen, daß, wenn die armen Thiere, die damit geplaget worden, ihre Meynung hätten sagen können, keines von allen solchen Eisen geschmiedet seyn würde. Sie würden sich an die allererste Art von Hufeisen gehalten haben; welche, weil sie nur zur Conservation der Wand am Hufe erfunden worden, von den Beschwerlichkeiten der jetzigen Hufeisen gewißlich nichts an sich haben kann …
Ich kann deswegen nicht unangezeiget lassen, daß es eine der vornehmsten Ursachen gewesen ist, warum ich auf Mittel gedacht habe, die alte Art Pferde zu beschlagen zu verbessern, weil ich gesehen habe, wie sauer es ihnen wird, sich auf dem glatten Pfaster in Paris bey trockener Jahreszeit zu halten … Weil aber die Bequemlichkeit der Menschen ohnstreitig über alles gehen muß, so müssen nur die Künste ihre Maaßregeln darnach nehmen; und dieses hat mich bewogen, folgendes neue Mittel in Vorschlag zu bringen … das Pferd dergestalt zu beschlagen, daß der Strahl auf die Erde auftritt, als auf welchem das Pferd fester und sicherer als auf den Stollen stehet. Auf dem Strahle können die Pferde auf dem glättesten Pfaster so sicher, als die Menschen mit Filzsohlen auf dem Eisen gehen …
Der Strahl bestehet aus einem schwammigen, fadenvollen, und so zu sagen fühllosen Fleische, und ist von weichlichen und dichten Horne bedeckt, das sich nicht abnutzet; das den Bewegungen des Pferdes nachgiebet, und der Sehne des Achilles zum Küssen dienet, selbige für Anfall und Stoß harter Materien, darüber ein Pferd gehen kann, zu bewahren. Er verhütet, daß die Sehne sich nicht übermäßig ausdehnen darf, welches Ausdehnen bisweilen für eine Beschädigung (nerf ferrure) der Sehne des Förderfusses von der daran stossenden Spitze des Hinterfusses, oder für Ermüdung des Schienbeins angesehen wird: er verhütet aber auch, daß die Sehne nicht reissen kann. Diesemnach muß der Strahl auf die Erde reichen, sowohl zur Erleichterung, als zur Sicherheit des Ganges für das Pferd. Je dicker der Strahl ist, desto weniger kommt der Ballen auf die Erde zu stehen, und destomehr wird dieser geschonet. Die kurzen Eisen [des Herrn Lafosse; J.G.] zwingen den Strahl, seine Dienste zu thun, und zugleich zum Puncte der Stütze für den Cörper des Pferdes zu dienen …
Die Ferse ist mit der Hornsohle verbunden, und durch Zweige zusammengewachsen; desgleichen mit dem Strahle, von welchem sie gehindert wird, daß sie nicht ausweichet. Man muß sie daher nicht aushöhlen, und die Hornsohle schwächen, welches sonst ein Zusammenziehen der Fersen, oder ein Klemmen verursachen würde. Man thut unrecht, wenn man beym Beschlagen der Pferde die Füsse abfeilen läßt, in der Meynung, daß sie ein besseres Ansehen bekommen möchten, oder damit man die Ungleichheit des Hufes nicht wahrnehmen solle. Es ist sehr schädlich, insonderheit an schwachen Füssen, die eine dünne Wand haben. Der Horn wird auf diese Art vertrocknen, und die Wand, weil der Nahrungssaft entgehet, zu sehen seyn: denn der äussere Theil des Hufes bestehet aus lauter fasern; wenn nun diese geöffnet werden, so ziehet die Luft hinein, und durchdringet und verderbet sie …
Bey der letzten Winterkälte hat man die besten Pferde barfuß, oder mit kurzen mondförmigen Eisen beschlagen … lauffen lassen … zum abermaligen Beweise, daß ein Pferd, welches weniger mit den Hufeisen beschwert ist, viel gewandter bey seinen Bewegungen und aufmerksamer ist, den Weg, wohin es treten will, zu suchen, und sich im Gleichgewicht zu erhalten.“ (Daniel Gottfried Schreber, Neue Entdeckungen an Pferden, zum Behuf der Armeen, Landwirthe; Churschmiede etc., Halle 1759 / Übersetzung des Textes von Lafosse durch Schreber)
Der Beitrag von Lafosse verblüfft mich jedesmal aufs neue. Mehr als 200 Jahre später scheint nicht mehr viel davon übriggeblieben zu sein. Was haben wir den hier? John Hickman, Der richtige Hufbeschlag (BLV Verlagsgesellschaft, 1983). Im englischen Original heißt der Titel übrigens “Farriery / A Complete Illustrated Guide“. So richtig „richtig“ wird’s wohl erst im Deutschen:
„Solange das Pferd in seiner natürlichen Umgebung lebte, bot das Horn einen angemessenen Schutz der inneren empfindlichen Teile des Hufs.“ [Da ist was dran, denn schon seit etlichen Millionen Jahren kommen Equiden ohne Hufeisen auf die Welt und können prima laufen; JG] „Als dann der Mensch das Pferd zum Tragen von Lasten oder zum Ziehen von Fahrzeugen benutzte, muss ihm aufgefallen sein, daß die Hufe zu bestimmten Zeiten des Jahres … “ [Also nicht das ganze Jahr] „ … bei starker Beanspruchung auf hartem und unebenem Boden … “ [Also nicht überall] „ … schneller abgenutzt wurden, als sie nachwuchsen … Nun galt es, einen Weg zu finden, die Abnutzung des Horns zu verhindern … “ [Also nicht nur zu mindern, sondern komplett zu unterbinden] „ … um die uneingeschränkte Gebrauchsfähigkeit und das Wohlbefinden des Pferdes zu gewährleisten … Ohne angemessenen Schutz seiner Hufe kann ein Pferd die von ihm erwarteten Leistungen nicht erbringen … Ein wirtschaftliches Pferd muß über einen hundertprozentig intakten Bewegungsapparat verfügen.“
Beschlag als Schutz?
Beim Beschlag, egal wie schlecht oder weniger schlecht er ausgeführt ist, von „Schutz“ zu sprechen, ist weit gefehlt. Wenn etwas geschützt wird, dann die Wirtschaftlichkeit des Pferdes. Es geht im Kern nur um dessen uneingeschränkte Gebrauchsfähigkeit. So einfach ist das. Im derzeit gültigen Hufbeschlaggesetz wird das etwas verklausulierter formuliert. In §1 Abs. 1 heißt es: „Die Gesundheit von Huf- und Klauentieren, insbesondere die Leistungsfähigkeit ihres Bewegungsapparates, ist durch einen sach-, fach- und tiergerechten Huf- und Klauenbeschlag zu erhalten und zu fördern (…)“ [Hervorhebung in kursiver Schrift von mir]
Logisch betrachtet verstößt somit Hufbeschlag (im klassischen Sinn, nämlich durch das feste Anbringen von Beschlägen aus Eisen oder ähnlich geeigneten Materialien) eigentlich gegen das derzeit gültige Tierschutzgesetz. Darin heißt es in § 3 Abs.1a, dass es verboten sei, „einem Tier, an dem Eingriffe und Behandlungen vorgenommen worden sind, die einen leistungsmindernden körperlichen Zustand verdecken, Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines körperlichen Zustandes nicht gewachsen ist“.
Hier erkennen wir die seltsam verdrehte Logik der gängigen Praxis. Zum einen postulieren Hufschmiede einen vorgeblichen Mangel (i.e. das Pferd könne ohne Eisen nicht richtig laufen), um dann zum „Schutz“ Eingriffe und Behandlungen vorzunehmen, die diesen vorgeblichen, selbst definierten leistungsmindernden körperlichen Zustand verdecken (beschönigend: beheben), um dem behandelten (beschlagenen) Pferd dann Leistungen abzuverlangen (i.e. „richtig“ Gehenkönnen), denen es ja wegen seines körperlichen Zustands (i.e. das Pferd könne ohne Eisen nicht richtig laufen) nicht gewachsen sei.
Dieser Gedankengang ist einigermaßen grotesk. Vor allem: Warum merken Hufschmiede nicht, dass sie mit ihren eigenen Thesen in den Wind spucken? Das Tier hat dafür einen hohen Preis zu zahlen. Man sieht es ihm oberflächlich nur nicht an, oder will es nicht sehen, denn das Pferd fällt in der Regel ja nicht sofort deswegen tot um und funktioniert ja meistens ganz passabel (außer es lahmt mal gerade wieder). Warum bestätigt das fast niemand? – Weil den meisten die Nachteile und Risiken von Beschlag entweder nicht bekannt sind, oder gerne darüber hinweggesehen wird, denn das Pferd ist ja nur ein Nutztier.
Die wichtigsten Nachteile von Beschlag:
Fast alles was hier steht, stammt übrigens von gut ausgebildeten, langjährig tätigen und teils weltweit bekannten Hufschmieden, von denen die meisten jedoch ihr Metier zugunsten der Barhufbearbeitung aufgegeben haben. Die Liste ist unvollständig, denn immer mehr wissenschaftliche Institute steuern beständig Untersuchungsergebnisse bei, die die empirische Datenlage anreichern, bestätigen oder manchmal auch relativieren.
* Viel ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts über den sogenannten Hufmechanismus geforscht worden, und bis heute gibt es keine eindeutigen Ergebnisse. Der Hufmechanismus ist, einfach ausgedrückt, die Deformation des Hufes bei Belastung und Entlastung. Es deutet heute vieles darauf hin, dass es da kein einheitliches Muster gibt. Das Phänomen erscheint von Pferd zu Pferd individuell ausgeprägt, wie die Forschungen der DHG (Dr. Konstanze Rasch) ergeben haben. Was als sicher gelten kann:
Die bei Barhufanhängern gern zitierte Vorstellung von den Hufen als Blutpumpen (die „vier zusätzlichen Herzen“) hat bei weitem nicht die Bedeutung, die ihr gerne beigemessen wird. Der Hufmechanismus, also die natürliche Flexibilität, ist dagegen viel wichtiger, was die geschmeidigen Bewegungen des Hufs, und somit des Pferdes, angeht. Übermäßiges Auswirken der Sohle (leider auch von vielen Barhufpraktikern angewandt) sowie Beschlag ist für die von der Natur vorgesehene Bewegungsdynamik des Hufs kontraproduktiv.
* Ebenso ist die Nachgiebigkeit der seitlichen Hufknorpel deutlich vermindert. Beide Hufknorpel sind unabhängig voneinander vertikal beweglich und verhindern weitgehend die ungünstige Belastung der Gelenke durch Schiefstellung auf unebenem Untergrund. Beschlag behindert diesen Effekt fast vollständig.
* Bei gesunden Hufen sollten die Quartiere (die Bereiche zwischen Zehenwand und Tracht) eher passiv sein, also weniger lasttragend. Bei der Vorbereitung zum Beschlag bleiben dagegen diese Bereiche üblicherweise auf Höhe der restlichen Hufwand, also aktiv. Sobald der Beschlag angebracht ist, gibt es lediglich leichte Abnutzung im Trachtenbereich, die restliche Hufwand wächst ungehindert, und somit auch die Quartiere, die in der Folge den gesamten Huf ungünstig belasten. Dies ist einer von mehreren Gründen für die Ausbildung von Zwanghufen.
* Beschlag sollte üblicherweise alle sechs Wochen erneuert werden. Währenddessen wächst die Hufwand jedoch ungehindert weiter (um ca. 1–1,5 cm). Das bedeutet zunehmende Belastung des Hufes an seinen Tragrändern (periphere Belastung), und somit zunehmende Belastung der Anbindung zwischen Hufbein und Hufkapsel (Stratum Internum). Diese Anbindung hat jedoch nicht die vorrangige Aufgabe, das Pferdegewicht zu tragen. Zur Vorbereitung des Neubeschlags wird dieser Überwuchs der Wand radikal abgetragen. Für das Pferd fndet also im regelmäßigen Turnus eine wahre Achterbahnfahrt am Huf statt, was im Laufe der Zeit zu Deformierung, untergeschobenen Trachten und letztlich zu Zwanghufen führt.
* Ein weiterer Nebeneffekt von Beschlag ist die Verminderung der Hornqualität, denn nur die natürliche Bewegung als Barhuf bewirkt ein gesundes Gleichgewicht von Abrieb und Wuchs, und somit gute Hornqualität, die den Ansprüchen auf jedem Untergrund genügt. Strahl, Sohle und Eckstreben, die sich normalerweise die Belastung des Hufes mit der Hufwand via Tragrand teilen sollten, werden durch Standardbeschlag dem Untergrund buchstäblich enthoben und verlieren dadurch Funktion und Integrität. Unkontrolliert nachwachsende Eckstreben können sich unter dem Eisen verfangen oder eine falsche Sohle bilden (der Überstand klappt um und bedeckt die eigentliche Sohle).
* Hufe brauchen viel Bewegung in Form von Be- und Entlastung. Diese wird durch Beschlag stark eingeschränkt (Korsetteffekt). Teile der Coriae (im Deutschen sehr unpassend „Lederhäute“ genannt) von Sohle und Eckstreben sterben ab.
* Was gerne übersehen wird: Das Anpassen und Anbringen der Eisen erfolgt genau dann, wenn der Huf aufgehoben, also unbelastet ist. Mit dieser Vorgabe soll dann das Pferd bei Belastung laufen. Eigentlich sind dann die Hufeisen ein Stück zu klein. Das ist so, als würde ich im Schuhgeschäft in lichter Höhe sitzend neue Stiefel anprobieren, ohne damit ein paar Meter zu gehen, um die Passform zu prüfen. Der nächste Wandertag dürfte sehr spannend werden.
* Das Pferdeskelett braucht mindestens fünf Jahre (oft sogar mehr) Wachstum, bis es vollständig ausgebildet ist. Das gilt letztlich auch für die Extremitäten. Besonders bei jungen Pferden behindert Beschlag das Hufbein an der Ausformung seiner vollen Breite. Die Hufe bleiben kleiner, als sie sein müssten, um das Körpergewicht tragen zu können, und entwickeln sich oft zu Zwanghufen.
* Dem hinteren Teil des Hufs kommt eine besondere Bedeutung zu, um die Aufprallenergie beim Auffußen weitgehend unschädlich zu machen. Strahl, Strahlkissen, seitliche Hufknorpel (die ja nichts anderes sind als die flexiblen Fortsetzungen der kaudalen Extensoren von P3) sowie das weitverzweigte vaskuläre System (Blutgefäße) sorgen dafür, dass die Kräfte, die auf den Huf einwirken, nicht ungefiltert die angrenzenden Gelenke (bis hin zur Wirbelsäule) erreichen und dort im Laufe der Zeit Schaden anrichten.
Das vaskuläre System
Dieses steht schon länger im Verdacht, mehr zu sein, als nur der Temperaturregulierer sowie der Nährstoff- und Sauerstofflieferant. Englische Veterinäre bezeichneten schon Anfang des 20. Jahrhunderts das Netz der Blutgefäße im Huf als „hydraulisches System“. Interessanterweise machten sie diese Wirkungsweise für die stabile Position des Hufbeins in der Hufkapsel verantwortlich (und nicht allein die Aufhängung via Stratum Internum, also gemäß der Suspensionstheorie, wie sie heute von den meisten vertreten wird). In den letzten Jahren hat insbesondere Robert Bowker, Tierarzt und emeritierter Institutsleiter für Hufforschung an der Universität Michigan, auf den hämodynamischen Umwandlungseffekt bei Stoßenergie aufmerksam gemacht. Als Grundlage dafür sieht er unter anderem das Poiseuille’sche Gesetz, das man modifiziert und erweitert auf nichtnewton’sche Flüssigkeiten (wie Blut) übertragen könne.
* Damit die segensreichen Eigenschaften der hinteren Hufregion überhaupt sich entfalten können, muss diese bei Bewegung des Pferdes den Untergrund zuerst berühren. Das nennt man Trachtenlandung. Die Fußung des Hufs geht in vier Phasen vor sich. Zunächst berühren die Ballen den Untergrund und melden unmittelbar bevorstehenden Bodenkontakt, danach erfolgt der Aufprall des hinteren Hufteils, wobei auch die Struktur des Untergrunds erkundet wird, dann nimmt der gesamte Huf die Last des Körpers auf, und schließlich verlässt der Huf wieder den Boden, indem er wegschnellt (“breakover“).
Dieses Bewegungsmuster wird von vielen als „falsch“ angesehen. Der Grund dafür liegt in der traditionellen Bearbeitungsmethode der Hufschmiede (und leider auch in der Vorgehensweise mancher Barhufpfeger), die dafür sorgt, dass Pferde gezwungenermaßen mit der Zehe zuerst auftreffen. Diese Zehenlandung ist weit verbreitet und wird als normales Standardphänomen angesehen. Da auch hier das Pferd nicht sofort tot umfällt, wird die Sache als richtig anerkannt. Trachtenlandung ist jedoch mit einiger Sicherheit das einzige Bewegungsmuster, das die Gesundheit und Robustheit des (unbeschlagenen) Hufs herstellt, und somit auch die Gesundheit und Robustheit des gesamten Bewegungsapparates. Nachweislich bewegen sich wild lebende Pferde auf diese Art und Weise. Sie sind bekannt für ihre widerstandsfähigen Hufe, die jedem Untergrund standhalten.
* Zehenlandung ist dagegen der Ausgangspunkt für ein ganzes Bündel von Schädigungen nicht nur am Huf, sondern letztendlich für den gesamten Körper. Insbesondere soll hier das sogenannte „Hufrollensyndrom“ erwähnt sein. Allein das Wort Syndrom zeigt schon die Unbeholfenheit, die diesem Begriff innewohnt, wenn keine eindeutige Diagnose vorliegt. Sehr oft war das dann auch das Todesurteil für das Pferd. In Übersee ist man da schon deutlich weiter. Dort sprechen die beteiligten Spezialisten von “caudal foot pain, formerly known as navicular disease“ (Schmerz im hinteren Teil des Hufes, ehemals als Strahlbeinkrankheit bekannt). Das Phänomen ist um einiges komplexer, als ursprünglich angenommen, und betrifft oft nicht in erster Linie das Schiffbein selbst, sondern die umliegenden Strukturen. Beschlag gilt als Hauptquelle dieses gefürchteten „Syndroms“.
* Der Huf ist, entgegen des oberflächlichen Eindrucks, ein hochkomplexes Organ, das bis heute noch nicht abschließend erkundet und verstanden ist. Teil dieser komplizierten Struktur ist das neurale System, also die Ausstattung mit Nerven. Im wesentlichen gibt es dort drei Grundtypen von sensorischen Nervenzellen:
Thermozeptoren (Temperatur)
Nozizeptoren (Schmerz)
Taktilozeptoren (Berührung, Druck, Vibration)
Dieses immense Nervengefecht, insbesondere die Taktilozeptoren, versorgt das Gehirn mit wichtigen Informationen über Untergrund und Umgebung, was wiederum die Bewegung des Pferdes optimiert. Beschlag, wie er üblicherweise ausgeführt wird, enthebt buchstäblich den Huf des Untergrunds. Wichtige neurosensorische Informationen kommen nicht mehr an oder werden verzerrt und gestört weitergeleitet, womit sie ihren eindeutigen Informationswert verlieren. Hufe werden sozusagen dumpf und fehlsichtig. Das wird gerne als Schutz der Hufe missverstanden. Das Pferd läuft mit Eisen ja deutlich „besser“, als barhuf. Ohne Beschlag laufe das Pferd „fühlig“. Dieses berüchtigte „Fühliglaufen“ wird gerne Barhufbefürwortern ans Bein geschmiert. Das geht unterschwellig oder gar offen Richtung Vorwurf der Tierquälerei. Darauf möchte ich hier gerne genauer eingehen und deutlich dagegenhalten. Um es vorweg zu nehmen: „Fühligkeit“ ist keine Schmerzreaktion, sondern natürliche Huffunktion.
Die Rezeptoren für Berührung, Druck und Vibration leiten die elektrischen Signale deutlich schneller an das Zentrale Nervensystem weiter als die Nervenzellen, die für Temperatur oder Schmerz zuständig sind. Schmerzsignale werden in der Tat eigentlich nur dann entsandt, wenn Schädigung bereits eingetreten ist. Und damit gar nicht erst Schaden entstehen kann, erkundet das Pferd mit den Taktilozeptoren den Untergrund, um gefährlichen Strukturen auszuweichen. Natürlich gibt es im richtigen Leben immer wieder auch Unfälle, das lässt sich nicht vermeiden, aber die meiste Zeit funktioniert diese Vermeidungsstrategie hervorragend.
Dauerhafte Umstellung
Wenn Pferdeleute sich entschließen, dauerhaft auf Barhuf umzustellen, sollten sie das eben Gesagte wissen. Zudem sollten sie wissen, dass Hufe, die längere Zeit beschlagen waren (also dumpf gehalten wurden), in der ersten Zeit nach Abnahme der Eisen zunächst übersensibel sind. Selbstverständlich kann auch Schmerzreaktion erkennbar sein. Hier handelt es sich anfangs jedoch so gut wie immer um bereits vorhandenen Schaden, der von Beschlag und falscher Zehenfußung herrührt, also rein gar nichts mit der neuen Barhufsituation zu tun hat. Für Leute, die im Stall wegen Umstellens auf Barhuf gemobbt werden, nochmals im Klartext: „Fühligkeit“ ist keine Schmerzreaktion, sondern gehört zu den natürlichen Huffunktionen, ohne die kein Pferd auch nur halbwegs lebensfähig wäre. Schäden durch Beschlag sowie die anfängliche Übersensibilität verschwinden mit der Zeit bei konsequenter und guter Barhufpfege. Um dem Pferd die Übergangsphase zu erleichtern, empfehle ich die Verwendung von Hufschuhen.
* Ein Nachteil von Eisenbeschlag ist offensichtlich, wird aber gerne buchstäblich überhört: akustische Phänomene. Forschungen der Universität Zürich haben ergeben, dass Metallbeschlag beim Gehen auf hartem Untergrund eine Vibrationsfrequenz um die 800 Hz erzeugt. Diese Vibration kann Arthritis bewirken. Andere Frequenzen stehen ebenfalls im Verdacht Schaden anzurichten. Hier stehen noch Untersuchungen aus.
Alltägliches Phänomen beim Ausritt auf hartem Untergrund: Mit etwas Vorstellungskraft kann man sich durchaus vorstellen, dass das Pferd mit seinem Beutetierbewusstsein von dem Lärm durch das eigene Aufhufen nicht sonderlich begeistert ist und sich lieber etwas unauffälliger und leiser fortbewegen würde. Es gibt viele Besitzer, die bestätigen können, ihr bislang nervöses und schreckhaftes Pferd sei nach Umstellung auf Barhuf entspannter und ruhiger geworden.
Amerikanische Wranglers oder Vaqueros berichten häufg, dass Pferde mit ihren Hufen auch „hören“ können. Zumindest können sie Eindrücke aus nächster Umgebung verarbeiten, zum Beispiel Hindernisse beim Rückwärtsgehen (Sonareffekt). Auch Erdbeben in der Tiefe können sie mit den Hufen spüren, oft lange, bevor sie an die Oberfläche kommen. Das ist angesichts jener Rezeptoren, die auch Vibrationen zu empfinden fähig sind, durchaus naheliegend. Ich kenne das auch aus eigener Erfahrung, es hat mir und meinem Pferd sogar einmal das Leben gerettet.
* Freunde des Offenstalls wissen: Beschlag erhöht die Verletzungsgefahr bei Auseinandersetzungen zwischen den Gruppenmitgliedern. Offenstall und Hufeisen gehören eigentlich nicht zusammen.
* Ein weiteres Detail beim Beschlag sind die Nägel. Sie schwächen das Horn, trocknen es aus und öffnen den Zugang für Pilze und Bakterien. Horn ist naturbelassen ein sehr gut isolierendes Material. Nägel leiten dagegen die Außentemperatur (besonders Kälte) tief in den Huf. Thermographische Bilder beweisen das.
* Nicht zu vernachlässigen ist das schiere Zusatzgewicht der Eisen. Der untere Bereich der Pferdegliedmaßen macht nur einen Bruchteil der gesamten Körpermasse aus. Je schwerer die Eisen, umso mehr ist die Biomechanik bei der Bewegung ungünstig beeinflusst, die Bewegung ist beeinträchtigt. Zur Veranschaulichung: Gehe eine Strecke zunächst barfuß und anschließend mit Wanderstiefeln.
* Metall bietet weniger Halt auf schwierigem Terrain. Es ist von Haus aus rutschiges Material. Barhufpferde haben deutlich mehr Halt auf Schnee, Eis, Asphalt oder nassem Gras.
* Ein sehr delikates Thema ist der Heißbeschlag (verniedlichend auch Warmbeschlag genannt). Der Vorgang ist alltäglich und wird von den meisten als völlig selbstverständlich hingenommen. Nachdem der Huf zum Beschlag vorbereitet wurde (Ausschneiden; früher nannte man das Auswirken), soll ja das vorgefertigte Eisen präzise auf der unteren Hornfläche der Wand aufsitzen können. Mit etwas mehr Zeitaufwand und handwerklichem Geschick könnte man das auch kalt,
ohne Erhitzen durchführen. Mit dem Auflegen des heißen Eisens dagegen lässt sich vorab ein Abdruck (gewissermaßen ein Negativ) am Huf erzeugen, worauf das erkaltete Eisen passgenau aufgenagelt werden soll. Das spart Zeit und Mühe um Präzision.
„Heißes Eisen“
Mit etwas physikalischem Verstand wird man aber auch hier den Fehler im Vorgehen erkennen. Heißes Metall dehnt sich aus, kaltes schrumpft. Auch wenn dieser Effekt nur minimal sein sollte,bewirkt er, dass das heiß aufgebrannte Negativ nicht hundertprozentig mit dem erkalteten Originalübereinstimmen kann, jenes ist größer als das kalte Eisen. Die Rechnung geht also nicht auf. Das ist aber nur ein Nebenschauplatz. Heißbeschlag ist alles andere als selbstverständlich. Immer wieder prangern gut ausgebildete, langjährig erfolgreiche Hufschmiede diese Methode an und gehen oft hart mit ihren Schmiedekollegen ins Gericht.
Beim Durchsehen der Fachliteratur stößt man sehr schnell auf entsprechende Textstellen: Fangen wir an mit Johann Adam Kersting. Dieser war Reitschmied beim Landgrafen von Hessen-Cassel. In seinem 1760 erschienenen Buch „Der sichere und wohl erfahrene Huf- und Reitschmied /neue und gründliche Anweisung zum bessern und nützlichern Beschlagen der Pferde“ schreibt er: „Es haben aber einige Schmiede den Gebrauch, daß, wenn sie das Hufeisen gerichtet haben, und der Huf behörig ausgeschnitten ist, so drücken sie dasselbige, nach dessen gehörigen Lage, heiß auf den Fuß: Und wollen es hierdurch dahin bringen, daß das Eisen aller Orten gleich auf dem Horne liegen soll. Solcher Gebrauch aber ist schlechterdings nichts nütze, und dem Horne höchst schädlich.“ B. Pitcher, ein amerikanischer Hufschmied, der im 19. Jahrhundert offenbar sehr erfolgreich einige Jahrzehnte lang bei Chicago und Racine praktizierte, legt seine Erfahrungen 1881 in seinem Buch “The Horse – A Book for the People“ nieder. In der von ihm autorisierten deutschen Übersetzung lesen wir:
„Heiße Eisen, wie sie oft aufgenagelt werden, verbrennen leicht die Hornsohle und die Hufmasse, erhitzen die Temperatur des Fußes und stören direkt die Funktionen des Hufsystems, und wenn das Pferd Anlage zu entzündlichen Krankheiten hat, oder überhaupt zu akuten Fußkrankheiten geneigt ist, so wird das heiße Eisen, wie oft geschieht, die verborgene Anlage zur Entwicklung bringen … Einige Schmiede meinen, daß es nothwendig sei, heiße Eisen aufzulegen, um die unebenen Stellen zu entdecken, welche bei einem fehlerhaften Auswirken des Hufes entstanden. Aber ein tüchtiger Mann mit guten Werkzeugen kann eine ebene Sohlenfäche herstellen, daher braucht ein tüchtiger Arbeiter nicht zum heißen Eisen zu greifen. Nur wenn er entweder in alten Irrthümern befangen, oder ungeschickt ist, wird er es thun wollen. Jeder anständige Schmied sollte also die heißen Eisen bei Seite lassen, aber es giebt so viele, die Nichts lernen und Nichts vergessen und bei dem alten Schlendrian bleiben.“ [Hervorhebungen im Original]
Ein weites Feld sind sogenannte Korrekturbeschläge (oft auch „orthopädische Beschläge“ genannt). Sie sollen Fehlstellungen beheben und auch die Genesung bei Krankheiten fördern (insbesondere bei Hufrehe). Da es sich dabei aber letztendlich ja auch um nichts anderes als Beschlag handelt, behalten auch hier alle oben angeführten Punkte im wesentlichen ihre Gültigkeit.
Zusammengefasst und knapp formuliert ergibt sich folgendes Bild: Der “Schutz“, der dem Huf per Beschlag angedeihen soll, entpuppt sich sich als etwas, was wir sonst aus der Drogenszene kennen: Der Huf wird zum J u n k i e . Beschlag und die Vorbereitung dazu verstärken gewissermaßen das „Bedürfnis“ des Hufes zum weiteren Beschlag. Er „verlangt“ immer mehr danach, was ihn eigentlich kaputt macht. Ein Teufelskreis, den nur gute und geduldige Barhufpfege durchbrechen kann.
Licht und Schatten
Es gibt überall Licht und Schatten. Sogar bis in die heutige Zeit hinein sind Wissen und Fertigkeiten von Hufschmieden „sehr breit gestreut“, um es etwas diplomatisch auszudrücken. Gibt es auch den „guten“ Hufschmied, der für alle Situationen die beste Lösung parat hat? Auch die Barhufpflege gehöre ja laut Gesetz zur aktuellen Hufschmiede-Ausbildung. Warum also nicht vertrauensvoll die Barhufe dem Schmied überlassen?
2006 beging das deutsche Hufschmiedewesen ein böses und unnützes Foul. Mit dem reformierten „Gesetz über den Beschlag von Hufen und Klauen“ sowie mit der darauf begründeten „Verordnung über den Beschlag von Hufen und Klauen“ wurde als „Hufbeschlag“ definiert: „die Gesamtheit aller Verrichtungen an einem Huf zum Zweck des Schutzes, der Gesunderhaltung, der Korrektur oder der Behandlung“. Damit nicht genug: „Der Huf- und Klauenbeschlag darf nur von geprüften und staatlich anerkannten Hufbeschlagschmieden / Hufbeschlagschmiedinnen ausgeübt werden.“
Damit schuf man die groteske Situation, dass ausgerechnet die Leute, die angetreten waren, Hufe von Equiden unter Ausschluss von Hufeisen (und ähnlichen Vorrichtungen) zu behandeln und zu erhalten, von da an gezwungen waren, zunächst einen Beruf zu erlernen, den sie eigentlich ablehnten und dem sie später gar nicht nachgehen würden, nur um die Voraussetzung dafür zu erhalten, ihren eigentlichen Beruf des Barhufpflegers nachträglich erlernen und ausüben zu können. Das ist so, als müsste ich zuerst Sprengmeister werden, um aus einem Marmorbrocken eine Skulptur erschaffen zu dürfen. Ohne Sprengmeisterprüfung kein Bildhauer. Oder ich müsste zuerst Forstwirtschaft studieren, um eine Geige zu bauen.
Die neuen Bestimmungen von 2006 kamen also faktisch einem Berufsverbot für Barhufspezialisten gleich. Ganz zu schweigen von der Nötigung, jemanden während der Berufsausbildung zu etwas zu zwingen, was seinem Gewissen und seiner Überzeugung zuwiderläuft. Es wurde auch prompt dagegen geklagt, wobei die Kläger im wesentlichen Recht bekamen, indem der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 3. Juli 2007 entsprechende Teile des Gesetzes von 2006 als „mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig“ befand.
Bis heute ist die Situation des Barhufagers unbefriedigend, da dessen Tätigkeitsfeld bislang nicht staatlich geregelt ist (im Gegensatz zum geprüften Hufschmied). Die Sache bleibt also spannend. Um den ganzen rechtlichen Hickhack besser verstehen und einordnen zu können, müssen wir die Vorgeschichte betrachten. Hufbeschlag (und hiermit meine ich die wahre Bedeutung des Wortes) war lange Zeit nicht reglementiert. Hufschmiede waren ursprünglich Grobschmiede, mit Hufbeschlag als Nebentätigkeit. Es war also ein typischer Traditionsberuf, der mündlich an Gesellen weitergegeben wurde (und damit auch Wissen oder Unwissen, Geschick oder Ungeschick des Schmiedemeisters).
Wie bereits erwähnt, gab es erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts ernsthafte Bemühungen, Beschlag wissenschaftlich zu erkunden, die Ergebnisse schriftlich niederzulegen und die Erkenntnisse in Form von Methoden systematisch zu ordnen. Dabei waren die regionalen, beziehungsweise nationalen Unterschiede beträchtlich.
Im 19. Jahrhundert galt die englische Methode als die beste und fortschrittlichste. Sie beeinflusste das Handwerk weltweit, in Deutschland dagegen eher zögerlich und nicht umfassend. Man muss dazu wissen, dass „Deutschland“ damals kein einheitliches Staatsgebiet war, sondern ein Fleckenteppich aus Königreichen, Fürstentümern, Herzogtümern, Bistümer sowie freien Städten. Der englische Beschlag wurde, zumindest eine Zeitlang, in Hannover und in Preußen eingeführt. In anderen Gegenden war er nur spärlich vertreten. Als Faustregel kann gelten: je weiter südlich, um so weniger bis gar nicht. Böse Zungen behaupten, das würde man dem Süden Deutschlands auch heute noch anmerken.
Wie auch immer, es gab nach wie vor kein nennenswert einheitliches Reglement, und die Qualität der Hufschmiedeausbildung war breit gestreut (um es milde auszudrücken). Es war also eher Glückssache jemanden zu finden, der das Pferd nicht binnen kürzester Zeit lahm oder gar komplett unbrauchbar werden ließ. Das wurde zu gegebener Zeit durchaus als gravierender Mangel angesehen. Und so wurde 1940 in Deutschland das „Gesetz über den Hufbeschlag“ sowie die „Verordnung über den Hufbeschlag“ verabschiedet. Es war das erste reichsweite Regelwerk überhaupt.
Allerdings: 1940 herrschte der Nationalsozialismus, und Deutschland befand sich im Krieg. Die Qualität der Hufschmiedearbeit durch gesetzliche Standards zu verbessern, dürfte also kaum auf dem Boden des Tierwohls gewachsen sein. Vielmehr war es wohl das Ziel, mit besserem Beschlag den Nutzen der Pferde an der Front zu erhöhen, zugunsten Hitlers „Endsieg“. Der Zweite Weltkrieg war der letzte große Krieg, in dem Pferde durchaus noch militärischen Wert hatten, trotz der übermächtigen Industrialisierung des Tötens durch Artillerie, Flotte und Luftwaffe.
Zuständig für den Erlass von Vorschriften über den Hufbeschlag war der Reichsminister des Innern, zu diesem Zeitpunkt Wilhelm Frick (NSDAP). Frick war maßgeblich an Aufbau und Etablierung des NS-Staates beteiligt und nach dem Krieg einer der 24 Hauptangeklagten im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess (Tod durch den Strang). Wurden die Geschäftsbereiche Ernährung und Landwirtschaft sowie Reichswirtschaft berührt, war zudem das Einverständnis der zuständigen Minister erforderlich, zum einen Richard Walther Darré (NSDAP, SS-Obergruppenführer und „Reichsbauernführer“), zum anderen Walther Funk (NSDAP, Reichsbankpräsident).
Die Hufbeschlagverordnung von 1940 ist an sich dennoch kein Dokument, das entsprechende Schlüsse aufgrund ihrer Autoren und Entstehungszeit zuließe. Die einzige Textstelle, die durchaus beredt ist, besteht aus dem Wort „Pferdematerial“ (§ 3 Absatz 5). Das lässt jedoch aufhorchen und nichts Gutes ahnen. Ansonsten ist die Verordnung ein typisches Dokument deutscher Gründlichkeit, wie wir es auch in anderen geschichtlichen Abschnitten fnden können. Es werden dort auch keine Aussagen darüber getroffen, auf welchen theoretischen und systematischen Prinzipien die Ausbildung beruht. Es ist nur geregelt, wie die Ausbildung abläuft, wer zugelassen ist, wer prüfen darf (und wo) und wer bestanden hat oder nicht.
Trotzdem sind ein paar Punkte eine nähere Betrachtung wert. Es wird dort nirgends erwähnt (oder es ließe sich aus dem Zusammenhang erschließen), dass allein ein geprüfter Hufschmied alle Verrichtungen am Huf vornehmen dürfe. Der Begriff „Hufbeschlag“ ist (anders als in der späteren Fassung von 2006) hier eindeutig defniert als das Anbringen eines Eisenbeschlags. Eine der Aufnahmebedingungen von Bewerbern war, „dass er ein brauchbares Hufeisen aus Stabeisen schmieden und richten und einen regelmäßigen Huf zubereiten kann“. In § 5 Absatz 4 wird begrifflich klar zwischen „Beschlag“ und „Barfußgehen“ unterschieden. Der Beschlag an sich nimmt die Verordnung thematisch fast vollständig ein. Und in Verbindung mit dem Hufbeschlaggesetz §1 Absatz 1 wird klar: Hier ist eindeutig geregelt, dass nur ein geprüfter Hufbeschlagschmied Hufe mit Eisen versehen darf. Andere Tätigkeiten, wie eben das Zubereiten zum Barfußgehen, sind reines Beiwerk.
Barhufbearbeitung ist hier offenbar keine ausschließliche Domäne der Hufschmiede. Wozu auch? In Transportwesen und Kriegführung war Effizienz gefragt und nicht die gesunde Lebens(er)haltung von Pferden. Bezeichnend auch der Umstand, dass in der Verordnung von 1940 im Abschnitt „Hufbeschlaglehrmeister“ das Barfußgehen gar nicht mehr auftaucht. Mit anderen Worten: Jemand, der andere zum Hufschmied ausbildete, musste keine (oder im höchsten Fall nur geringe) Kenntnisse über die Pfege von Barhufen vorweisen können. Das zieht sich durch wie ein roter Faden.
Einen ulkigen Nebenschauplatz mag ich den Lesern nicht vorenthalten. Es geht um die charakterliche und intellektuelle Eignung angehender Hufschmiede. In der Verordnung von 1940 steht in §2 Abs.3: „Der Bewerber hat vor seiner Aufnahme [der Lehre; JG] … nachzuweisen, …, daß er des Lesens, Schreibens und Rechnens in ausreichendem Maße kundig und voraussichtlich imstande ist, dem Unterricht zu folgen.“ Darüberhinaus erfahren wir in §11 Abs.2/3: „Die Anerkennung ist zu versagen, wenn sich aus Tatsachen ergibt, daß sich der Bewerber schwere strafrechtliche oder sittliche Verfehlungen hat zuschulden kommen lassen oder daß ihm infolge einer Sucht die erforderliche Eignung oder Zuverlässigkeit fehlt.“ Darüberhinaus sei die Anerkennung zurückzunehmen, „wenn er [der anerkannte Hufschmied; JG] sich schwere strafrechtliche oder sittliche Verfehlungen hat zuschulden kommen lassen“ und „wenn ihm wegen Schwäche seiner geistigen Kräfte, wegen einer Sucht oder wegen zu hohen Alters die notwendige Eignung oder Zuverlässigkeit fehlt:“ Gab es da einschlägige Erfahrungen, dass es notwendig war, derart ausführlich in der Verordnung darauf einzugehen?
In der bundesdeutschen Interimsverordnung von 1965, die auf der Verordnung von 1940 gründet, ist neben dem Mangel an „erforderlicher Zuverlässigkeit“ ein weiterer Grund, die Zulassung zu versagen, „insbesondere wenn er [der Lehrling; JG] sich schwerer Verstöße gegen Vorschriften des Tierschutzes schuldig gemacht hat.“ Gab es auch da einschlägige Erfahrungen? In der jetzigen Fassung fnden wir die Einschränkungen nur noch bezüglich „Zuverlässigkeit“ und Verstößen gegen den Tierschutz. Gesetz und Verordnung von 1940 wurden erst 2006 endgültig aufgehoben.
Die Hufbeschlagverordnung von 1965 war nur ein kleines Intermezzo. Dieses war nötig geworden, um die Patina der Nazizeit zumindest formell abzuschütteln. Zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs war den Gesetzgebern nämlich doch aufgefallen, dass es keinen „Reichsminister des Innern“ sowie keine „Wehrmacht“ mehr gab. Außerdem war Deutschland augenscheinlich für längere Zeit in zwei Staaten geteilt. Die BRD als Rechtsnachfolger des Dritten Reichs brauchte eine revidierte Ausgabe auf Basis des Grundgesetzes.
Die neue Verordnung unterschied sich jedoch dem Wesen nach kaum vom Vorgänger von 1940. Alter Wein in neuen Schläuchen. Eine Steigerung ist jedoch festzustellen. Das „Barfußgehen“ kommt darin gar nicht mehr vor. An einer einzigen Stelle wird verschämt die „Pflege des unbeschlagenen Hufes“ erwähnt. Man kann sich also vorstellen, wie wichtig das war.
In den Sechzigerjahren verlor das Hufschmiedehandwerk zwischenzeitlich zunehmend an Bedeutung. Die Maschinisierung der Landwirtschaft verdrängte das Pferd von Acker und Hof. Freizeitreiterei war noch einer kleinen Schicht vorbehalten. Von daher machte man es Hufschmiedeanwärtern als Anreiz möglichst leicht, durch die Prüfung zu kommen: „Die Prüfung ist bestanden, wenn die Prüfungsleistungen in beiden Teilen der Prüfung mindestens mit ‚ausreichend‘ bewertet worden sind.“ (§ 17 Absatz 3) Man musste zudem nur noch ein Jahr (statt wie bisher zwei Jahre) einen anerkannten Hufschmied in der Praxis begleiten, um zur Prüfung zugelassen zu sein.
Wie bereits gesagt, ist die Hufbeschlagverordnung von 1940 tatsächlich erst 2006 durch ein neues Gesetz und eine neue Verordnung endgültig abgelöst worden. Bestimmungen, die in der Nazizeit erlassen worden waren, hatten also noch sechs Jahrzehnte nach Ende des Dritten Reiches Gültigkeit. Mit ihnen sind Ausbilder und Auszubildende geprüft worden. Man kann davon ausgehen, dass auch die alten Ansichten über Art und Weise des Beschlags sowie die fast vollständige Vernachlässigung des Themas Barhuf im Kern übernommen wurden. Tradition stirbt nicht so schnell.
Das heißt aber auch: Leute, die vor 2006 ihre Prüfung zum Hufbeschlagschmied bestanden haben, stehen in dieser Tradition, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht. Oft wissen sie es nicht einmal. Es sind freilich auch nicht automatisch alle Nazis. Der Anteil an Nazis bei Hufschmieden dürfte wohl dem Anteil in der Gesamtbevölkerung entsprechen. Für mich kein interessantes Thema. Die alten Prüfungszeugnisse bleiben übrigens gültig, ohne Neuprüfung (§ 10 Absatz 1 HufBeschlG). Dadurch wirken die alten Bestimmungen in ihrem Geiste auch nach 2006 weiter, solange ältere Hufschmiede und Prüfer noch ihre Funktion ausüben.
Auch im neuen Regelwerk von 2006 (Gesetz und Verordnung) gibt es keine näheren Angaben, nach welchen Theorien und Methoden gearbeitet werden soll. Die Liste ist im einzelnen sehr umfangreich und hat nach wie vor den klaren Schwerpunkt auf traditionellem Beschlag. Hinzugekommen ist Beschlag mit „alternativen Hufschutzmaterialien“, weil ja auch der Beruf des Huftechnikers neuerdings abgedeckt sein muss. Barhufversorgung ist wiederum das Schlusslicht, auch wenn dieser Vorgang ein paar Mal öfter erwähnt wird als in der früheren Verordnung.
Der praktische Teil der Prüfung (siehe § 10 HufBeschlV) spricht Bände. Beschlag mit Hufeisen muss vollständig an allen vier Hufen durchgeführt werden, innerhalb von maximal 150 Minuten. Beschlag mit alternativen Hufschutzmaterialien darf 120 Minuten dauern (zwei Hufe reichen; lasst mich raten – die vorderen?). Für die Barhufversorgung reichen ebenfalls zwei Hufe (lasst mich raten – die hinteren?), wobei letzteres nach 45 Minuten vorbei sein muss.
Interessant auch wieder der Abschnitt über die Prüfung zum / zur Hufbeschlaglehrschmied(in). Hier kommt der Begriff „Barhufversorgung“ gar nicht mehr vor. Lediglich eine „orthopädische Maßnahme“ wird erwähnt, aber nicht näher bestimmt. Der dreiköpfige Prüfungsausschuss besteht aus einem / einer Hufbeschlaglehrschmied(in) sowie zwei Tierärzten „mit der Befähigung eines Fachtierarztes für Pferde oder einer vergleichbaren Befähigung“. Ach ja, wichtig: Der Prüfling muss die stolze Sammlung von mindestens zehn unterschiedlichen selbstgefertigten Spezialeisen vorlegen. Ansonsten ist nicht recht viel mehr zu erfahren.
Nochmals die Frage: Gibt es auch den „guten“ Hufschmied, der für alle Situationen die beste Lösung parat, die Barhufpflege ausreichend erlernt hat und praktisch damit vertraut ist, dem ich also vertrauensvoll mein Pferd überlassen kann? Auch auf die Gefahr hin, einzelnen Unrecht zu tun, sind gravierende Zweifel angebracht. Eine seriöse, umfassende Ausbildung zum Barhufspezialisten dauert heutzutage durchschnittlich zwei Jahre. Ich kenne keinen einzigen Hufschmied, der für diese Zeitspanne seinen Hauptberuf vorübergehend an den Nagel hinge, um extern einen Abschluss zu machen. Umgekehrt kenne ich keinen reinen „Barhufer“, der seine Ausbildung, statt an einem kompetenten Institut, im Rahmen der Prüfung zum Hufbeschlagschmied gemacht hätte, in der Annahme, er sei damit ausreichend für seine Tätigkeit vorbereitet. Ich kenne dagegen genügend Hufschmiede, die ihre bisherige Profession aus Gewissensgründen aufgegeben haben. Aus dieser Gruppe rekrutieren sich die Koryphäen der modernen, wissenschaftlichen Barhufszene. Auch in Deutschland findet man sie immer häufiger.
Warum ein neues Gesetz ausgerechnet im Jahre 2006? Und nicht 10 Jahre davor oder später? Wir müssen einen Blick auf die Geschichte der aktuellen Barhufbewegung werfen, um das besser verstehen zu können. Es mag seltsam erscheinen, aber bis Ende des 20. Jahrhunderts gab es kaum systematische Erkenntnisse darüber, ob und wie Pferde ohne Beschlag laufen können, und welche Art der Hufbearbeitung das nachhaltig möglich machen kann. Zumindest war das Interesse daran sehr gering, und erste zarte Ansätze für eine Barhufbewegung sahen noch nicht das Licht der breiten Öffentlichkeit.
Entsprechendes Wissen war entweder anekdotisch, intuitiv oder stand gewissermaßen im „Kleingedruckten“, denn auch Hufschmiede erwähnten immer wieder, wie nützlich es sei, Pferde zumindest einen Teil des Jahres barhuf laufen zu lassen. Es wurde nur nicht deutlich gesagt, warum, denn dann wäre die richtige Antwort gewesen: Damit sie sich erholen können.
Niemand hat das Rad allein erfunden. Trotzdem ist der Umschwung mit nur ganz wenigen Namen untrennbar verbunden. Als „Urvater“ der modernen Barhufbewegung, die man heute unter dem Sammelbegriff “Natural Hoof Care“ (NHC) vereinen kann (auch wenn sich manche dagegen wehren und ihrem Kind lieber einen anderen Namen geben), dürfte der amerikanische Hufschmied Dr. Leslie Emery gelten, der als Mitautor in dem Buch “Horseshoeing Theory and Hoof Care“ (Theorie des Pferdebeschlags und Hufpflege; 1977) folgendes feststellt:
“Lack of understanding of the natural state and function of the hoof is the primary defciency in shoeing theory and practice, and in the treatment of lameness. To fully illustrate the natural state and function of the hoof, the origins of the horse must be examined. Thus, the reasons for the development of the single-digit foot must be considered. The horse’s lifestyle has been altered drastically through domestication. In order to take proper care of him, we must understand how and where he lived in a wild state. From nutrition to hoof care, this concept is important.“
(„Mangel an Verständnis für den natürlichen Zustand und die natürliche Funktion des Hufes ist das Hauptdefizit bei Theorie und Praxis des Hufbeschlags, ebenso bei der Behandlung von Lahmheit. Um umfassend den natürlichen Zustand und die natürliche Funktion des Hufes darzustellen, muss die Herkunft des Pferdes untersucht werden. Daher müssen die Gründe für die Entwicklung des eingliedrigen Fußes betrachtet werden. Die Lebensumstände des Pferdes sind durch Domestizierung drastisch verändert worden. Um es angemessen zu betreuen, müssen wir verstehen, wie und wo es im wilden Zustand lebte. Angefangen bei der Ernährung bis hin zur Hufpfege, ist diese Auffassung wichtig.“ – Übersetzung von mir)
Der Haupteinwand, domestizierte Pferde seien mit „Wildpferden“ gar nicht vergleichbar, wird von verschiedenen Seiten gerne eingestreut, um der NHC den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Hauspferde seien extra für die menschlichen Belange gezüchtet und somit gewissermaßen eine verweichlichte Form, während wild lebende Pferde ursprüngliche Rassen seien, dem rauhen Leben in der Natur angepasst.
Ersteres stimmt wohl auf den ersten Blick. Viele „Hausrassen“ erscheinen irgendwie überzüchtet und offenbar sehr anfällig für Gebrechen und Krankheit, wie die hohe Frequenz an Tierarztbesuchen in den Ställen eindrucksvoll belegt. Eine ganze Industrie, bestehend aus Veterinären, Therapeuten, Trainern, Hufschmieden und Fachgeschäften, sorgt dafür, dass unsere Pferde nicht sofort tot umfallen, sondern einen properen Eindruck erwecken und sich vor allem „korrekt“ verhalten und bewegen.
Es stimmt aber nur scheinbar. Es gibt keine „Wildpferde“. So ziemlich alle wild lebenden Pferde auf diesem Planeten sind Abkömmlinge entlaufener oder ausgesetzter Hauspferde. Mustangs in Nordamerika oder Brumbies in Australien, um nur die bekanntesten Populationen zu nennen, sind also keine einheitlichen Rassen, sondern ein Mischmasch aus allem möglichen. Bei Mustangs dürfte die spanische Linie noch recht gut vertreten sein (Abkömmlinge von Pferden der iberischen Konquistadoren). Die Namibis, ein realtiv kleiner Herdenverband in der namibischen Wüste sind Nachfahren von Pferden der ehemaligen deutschen Kolonialherren (Deutsch Südwestafrika). Und so weiter. Domestizierte Pferde und wild lebende Pferde (“feral horses“ oder “wild roaming horses“) sind genetisch so gut wie identisch. Lediglich der Inzuchtfaktor dürfte bei Hauspferden deutlich höher sein.
Domestizierte Pferde, die plötzlich ein freies Leben führen, werden in relativ kurzer Zeit robust und gesund. Spätestens in der zweiten Generation sieht man ihnen ihre Herkunft nicht mehr an. Die einzigen wirklichen Feinde sind Extremwetter und große Raubtiere, eventuell eingeschleppte Krankheiten oder Parasiten. Dieser Evolutionsdruck entfällt bei Hauspferden – ein weiterer Faktor, warum Hauspferde so oft kränkeln. Dazu kommen schlechte (nicht artgerechte) Haltung, falsche Fütterung, zu wenig oder falsche Bewegung, Hufbeschlag, Gebisse, schlechtes Reiten, Reitsport, medizinische Überversorgung usw.
In den USA werden regelmäßig Mustangs eingefangen, um deren Populationen zu regulieren. Sie werden privaten Besitzern zugänglich gemacht. Bezeichnenderweise entwickeln diese ehemals kerngesunden freilebenden Tiere häufig genug die gleichen Zivilisationskrankheiten, wenn sie in einen durchschnittlich geführten Stall gelangen. Ein weiterer Hinweis auf den Einfuss der Lebensumstände und die Umkehrbarkeit des körperlichen Zustandes. Den logischen Schluss daraus zog, zusammen mit Leslie Emery, der amerikanische Hufschmied Jaime Jackson.
Wenn wild lebende Pferde durchwegs funktionstüchtige und gesunde Hufe vorweisen, müsse man diese studieren und sich als Vorbild nehmen. Wenn man sie auf Hauspferde gewissermaßen übertrüge, würde sich das Beschlagen von Hufen erübrigen und das problemlose Laufen in allen Situationen gewährleistet sein. Soweit die Theorie.
Es gab bis dato keine aussagekräftigen Feldstudien über dieses Thema. Also machte sich Jackson Anfang der 1980er Jahre die Mühe, den Gegenstand seiner Neugier direkt vor Ort zu studieren, nämlich bei den Mustangs des Great Basin (vorwiegend Nevada und Nordkalifornien). Es sollte sich länger hinziehen, als erwartet. Wen die Geschichte näher interessiert, nehme sich Jacksons erstes Buch “The Natural Horse“ vor. Damit war aber noch keine Methode geboren. Jackson und Emery war zu dem Zeitpunkt lediglich klar: Barhufpflege ist weit mehr als nur „Eisen runter“.
Aus der gewonnenen, umfangreichen Datenlage entwickelte Jackson erst später sein “Wild Horse Model“ als Vorbild für die gesunde Barhufbearbeitung domestizierter Pferde. Er prägte die Bezeichnung “Natural Hoof Care“ (NHC). Er war freilich nicht allein mit seinen Ansichten. Vom Prinzip her gab es, über den Globus verstreut, durchaus Zeitgenossen, die, oft unabhängig voneinander, ähnliche Konzepte entwickelten und verfolgten. Manche sind wohl bis heute unbekannt geblieben. Andere dagegen brachten die Pferdewelt wenn schon nicht in Aufruhr, dann zumindest ins Wanken. Manche sind auch in den eigenen Reihen bis heute hoch umstritten.
Dazu gehört die deutsche Verterinärmedizinerin Dr. Hiltrud Straßer (manchmal auch Strasser geschrieben), die schon frühzeitig erkannte, wie wichtig die richtige Haltung (Stall, Ernährung, Umgang) für die Pferdegesundheit ist. Sie propagierte als eine der ersten, dass Pferde auch ohne Hufbeschlag funktionstüchtig seien. Später lehnte sie auch den Gebrauch von Gebissen ab, wie der rege Kontakt mit Dr. Robert Cook belegt.
Straßer und Jackson begegneten sich erst in den 1990er Jahren durch Vermittlung von Sabine Kells, einer kanadischen Barhufspezialistin (die gleichermaßen Englisch und Deutsch beherrscht), die zusammen mit Straßer ein Buch plante (“A Lifetime of Soundness“), in dem auch positiv auf Jacksons Veröffentlichung eingegangen werden sollte. Gegenseitige Einladungen in die USA und Deutschland folgten. Das ist umso erstaunlicher, da Straßer das “Wild Horse Model“ zugunsten ihrer eigenen Methode eigentlich ablehnte. Wahrscheinlich sahen beide eine Win-Win-Situation darin.
Insbesondere Jackson war anfangs sehr angetan, dass ausgerechnet eine Verterinärin seinen Ideen wohlwollend gegenüberstand. Tierärzte waren ihm gegenüber sonst, mit wenigen Ausnahmen, spinnefeind eingestellt. Trotzdem waren die Unterschiede zwischen den beiden unübersehbar, und es kam ziemlich bald zur Trennung. Damit erfolgte zur Jahrtausendwende die erste große Spaltung der Barhufbewegung. Das war der Urknall, und die weitere Entwicklung nahm, wie so häufig bei neuen Ideen, geradezu religiöse Züge an. Die beiden Apostel scharten mit der Zeit ihre Anhänger um sich, gründeten eigene Schulen mit eigenen Labels (rechtlich geschützt), schrieben eigene Lehrwerke, etablierten eigene Netzwerke und Assoziationen.
Es blieb dann auch nicht aus, dass einzelne Jünger flügge wurden, sich lossagten, das Lager wechselten oder ganz einfach ihr eigenes Ding machten, um sich weiterzuentwickeln, weil ihnen die bisherige Lehre zu dogmatisch wurde. Oft wurden daraus wiederum neue Dogmen und Schulen. Heute, nach einem guten Vierteljahrhundert, ist die Szene alles andere als einig. Feindseligkeit ist weiter verbreitet als Wohlwollen – Religionskriege halt.
Dennoch lassen sich alle heutigen Verzweigungen letztendlich auf die zwei Äste Jackson und Straßer zurückverfolgen, auch wenn das einige nicht wahrhaben wollen. Die bedeutendste Abspaltung vollzog Pete Ramey. Ehemaliger Hufschmied (wie so oft) und ehemaliger Jackson-Absolvent. Er ist bis heute seinem Ziehvater durchaus zugetan, hat aber etwas geschafft, was bisher unüblich war, nämlich eine eigene Schule zu gründen, die eigentlich keine ist, ohne Dogmatik, ohne Markennamen. Er hat eher so eine Art Open Source Academy geschaffen, auf seiner Website fndet man Unmengen Gratisinformation, die ständig von ihm aktualisiert wird. Wer tiefer eintauchen möchte, besorgt sich sein derzeitiges Standardwerk (“Care and Rehabilitation of the Equine Foot“) oder geht gleich in die USA, um sich vor Ort ausbilden zu lassen. Auch in Deutschland gibt es inzwischen die Möglichkeit, ein Zertifikat nach Ramey-Kriterien zu erwerben.
Wie eine Birne zwischen lauter Äpfeln erscheint uns der (nach wie vor praktizierende) Hufschmied Gene Ovnicek (sprich: “Owinek“), der auch schon zu Zeiten Leslie Emerys den natürlichen Ansatz propagierte und Hufeisen entwickelte, die das Laufen auf gesunden Barhufen nachahmen sollen. Ovnicek war und ist bis heute ein klarer Sympathisant der Barhufbewegung und nimmt auch kein Blatt vor den Mund, was schlechten Hufbeschlag angeht (soweit man konform geht, dass es so etwas wie „guten Hufbeschlag“ geben sollte).
Ein anderer wichtiger Name aus der späteren Anfangszeit ist der Veterinär Dr. Tomas Teskey, ehemaliger Hufschmied, der neuerdings ein umfassendes Werk über Pferdegesundheit veröffentlicht hat. Seinen legendären Artikel „The Unfettered Foot“ von 2005 sollte man zur Pflichtlektüre für alle machen, die in irgendeiner Weise mit Pferden zu tun haben.
Die Liste ist lang. Die meisten Namen sind nur Kennern geläufig.
Damit es nicht heißt, nur „die Amerikaner“ hätten das Rad zum Drehen gebracht, sei hiermit darauf hingewiesen, dass auch in einigen anderen Ländern Leute sich aufgemacht haben, das Pferd von den Hufeisen zu befreien. Inwieweit sie dabei auf die Entwicklung in den USA geschielt haben, ohne es zu sagen, oder tatsächlich unabhängig ihr Ding gemacht haben, lässt sich oft nur erahnen, ist aber gar nicht so wichtig.
Mindestens einer muss (neben Straßer) genannt sein: Jochen Biernat (der 2019 gestorben ist), langjähriger Leiter des DIfHO (Deutsches Institut für Huf Orthopädie), das jetzt unter neuer Führung weiterbesteht. Nach seinen eigenen Angaben habe er Anfang der 1980er Jahre bei einem gebirgigen Geländeritt das Erweckungserlebnis gehabt, das ihn dazu brachte, fortan nur noch ohne Beschlag auszukommen. Er habe dann seine eigene, orthopädische Methode entwickelt. Seitdem gibt es an dem DIfHO eigene Lehrgänge und Absolventen.
2003 veröffentlichte er zusammen mit Dr. Konstanze Rasch Der Weg zum gesunden Huf*. Heute eine Art Standardwerk. Frau Rasch ist übrigens seit einiger Zeit Leiterin eines weiteren huforthopädischen Instituts, der DHG (Deutsche Huforthopädische Gesellschaft). Ob es hier Zwist gab oder andere Gründe, habe ich bislang nicht herausgefunden. Es liegt nahe, dass inhaltliche Differenzen ausschlaggebend waren. Das soll jeder selber beurteilen. Einer der Gründe, warum die reichhaltige Übersee-Literatur (Bücher, Fachartikel, Websites, Apps) hierzulande nicht so großen Anklang findet, ist die Sprachbarriere. Es geht nicht nur um das (meistens amerikanische) Englisch an sich, sondern zusätzlich um die Fachsprache, die nur wenige extra zu erlernen auf sich zu nehmen bereit sind.
Wer also händeringend nach guter deutschsprachiger Literatur zum Thema sucht, die zudem einem fachlichen Qualitätstest standhält, wird wohl bei Dr. Tina Gottwald gut aufgehoben sein. Wunderwerk Huf hat mich angenehm überrascht. Und es tut ihrer Leistung keinen Abbruch, wenn ein großer Batzen ihrer Beiträge eindeutig amerikanische Handschrift trägt (manche Textpassagen erkenne ich wörtlich übersetzt wieder). Auch die Werke von Konstanze Rasch im Rahmen der DHG mit den Themen Barhuf und Hufrehe lege ich wärmstens ans Herz. Eine weitere gute Einführung in die Materie (in Englisch) kommt aus dem Hause Nevzorov in Russland. Lydia Nevzorova: Hoof Care Principles. Ich mag jetzt nicht noch weiter aufisten, wer und was in der Szene zu fnden ist. Im Internet wird man schnell fündig. Was ist, trotz allem Richtungshickhack, die Essenz aus allem?
– Es wurde mehr als ausreichend bewiesen, dass Hufbeschlag immer schädlich ist.
– Es wurde mehr als ausreichend bewiesen, dass Pferde barfuß laufen können, auch bei anspruchsvoller Leistung.
– In gerade mal gut drei Jahrzehnten hat die NHC-Bewegung mehr Erkenntnisse über den Pferdehuf gewonnen als tausend Jahre Hufschmiedewesen.
Ein wesentlicher Bestandteil der NHC-Erkenntnisse steht auf wissenschaftlicher Basis. Zwei Namen tauchen dabei immer wieder auf: Prof. Dr. Robert Bowker in Michigan (USA) und Prof. Dr. Chris Pollitt in Queensland (Australien). Beide leiteten etliche Jahre ein eigenes Hochschulinstitut ausschließlich zur Erforschung des equinen Hufs, insbesondere dessen Krankheiten. Bowker ist der Spezialist für Anatomie sowie Neurologie und hat ein paar einfache Prinzipien der Barhufpflege aufgelistet, die bis heute Gültigkeit haben. Pollitt ist die Koryphäe auf dem Gebiet der Biochemie, speziell was die Vorgänge bei Hufrehe angeht, was ihm die finanzielle Unterstützung der australischen Regierung einbrachte und deren Auftrag, eine allgemeinverständliche Dokumentation darüber zu veröffentlichen. Diese Dokumentation ist zwar inzwischen schon fünfzehn Jahre alt, jedoch nach wie vor sehr lesenswert, wenn man sich die Grundlagen aneignen möchte, um dieses leider sehr weitverbreitete Leiden besser zu verstehen.
Doch nun zurück zur oben gestellten Frage, warum ausgerechnet Mitte der Nullerjahre in Deutschland ein Gesetz verabschiedet wird, das Beschlaggegnern quasi Berufsverbot auferlegt. Muss ich sie wirklich beantworten? 2006 gab es bereits genügend praktizierende Barhufpfeger (egal welcher methodischer Herkunft), um von der ebenfalls florierenden Hufschmiedezunft argwöhnisch beäugt zu werden: Angst vor wirtschaftlicher Konkurrenz oder gar vor dem Aussterben des eigenen Berufs, vielleicht auch nur Standesdünkel, verletzter Stolz und Ignoranz (auch, oder gerade die der Pferdebesitzer). Wahrscheinlich alles zusammen. Dabei wäre es viel fruchtbarer, wenn die bisherigen „Kriegsparteien“ sich annähern würden, wie es in den USA und anderswo bereits geschieht – mit durchaus erfreulichen Ergebnissen.
Vielleicht sollten sich die Hufschmiede an den Gedanken gewöhnen, dass die Ära des Hufbeschlags enden könnte, genauso wie es immer wieder Berufe gab und gibt, die einfach aussterben. Immerhin leben wir im 21. Jahrhundert, und Hufbeschlag ist eine mittelalterliche Technologie. Mein Vorschlag wäre eine weitere Reform der entsprechenden gesetzlichen Regelung. Diese müsste dann heißen „Gesetz und Verordnung zur Huf- und Klauenbearbeitung“. Darin sollte festgelegt sein, dass zuallererst eine zweijährige Ausbildung zum Barhufpfleger an einem dafür geeigneten Institut Voraussetzung dafür sein müsse, dass man das Hufschmiedebeschlaghandwerk als zusätzliche Qualifikation erwerben und ausüben darf. Ich bezweifle jedoch, dass das dann noch jemand ernsthaft in Erwägung zöge.
Barhufpfleger (beziehungsweise Huforthopäde) ist in Deutschland (noch) kein staatlich anerkannter Beruf. Man muss bislang keinen staatlichen Abschluss nachweisen. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht Teile des neuen Hufbeschlaggesetzes von 2006 kassiert, sodass Nichthufschmieden sehr wohl erlaubt ist, Barhufe zu bearbeiten. Das hat Nachteile, denn jeder, der behauptet, er könne das, darf an Barhufe ran. Auch hier gibt es viel Licht und Schatten, wobei neben den „Profs“ manche Autodidakten im Laufe der Jahre gleichwertiges Wissen und Fertigkeiten erworben haben. Das kann bei einer zukünftigen Regelung zur staatlichen Anerkennung des Barhufpflegerberufs zum Problem werden: Welchen Status haben kompetente Leute, die in Eigenregie seit geraumer Zeit erfolgreich praktizieren, im Vergleich zu frisch lizensierten Absolventen, die gerade mal zwei Jahre Ausbildung hinter sich haben (dazu auch noch nur nach Maßgabe einer der verschiedenen existierenden Schulen)?
Da dürften sich etliche Leute, die über die Jahre ernsthaft und emsig Eigenstudium betrieben haben, ziemlich verarscht vorkommen, wenn sie nach zehn oder mehr Jahren die Raspel fallen lassen müssten, um ihr bislang munter gehendes, lahmheit- und rehefreies Pferd einer weitgehend unerfahrenen Person überlassen zu müssen. Den Jüngern der diversen Barhufrichtungen empfehle ich, kühlen Kopf zu bewahren und die Energie nicht für Grabenkämpfe zu vergeuden, sondern lieber in Wissenschaft und Erfahrungsaustausch zu stecken. Prof. Dr. Robert Bowker in Michigan (USA) und Prof. Dr. Chris Pollitt in Queensland (Australien) haben das an Ihren Lehrstühlen viele Jahre lang beispielhaft vorgemacht.
© Jürgen Grande (Last update: January 2023)
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Barhufpflege muß sich an der Anatomie der Pferde und dem Terrain, auf dem das Tier lebt (Haltungsbedingunen!) orientieren. Wer Hufbearbeitung betreibt, muß die Physik des Hufes und seine Aufgaben als Organ des Körpers verstehen und die physiologischen Eigenschaften der Gewebe beachten. Leider fehlen diese Erkenntnisse meistens! Ergebnis der Hufbearbeitung muß ein rundum gesundes Pferd bis in das natürliche Alter von 40 bis 50 Jahren sein!
Vielen Dank für den informativen Hinweis. Grundsätzlich sollte man die Hufgesundheit wie auch die Gesundheit des gesamten Pferdes immer ganzheitlich betrachten…